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Verkehrsgerichtstag: Anwälte fordern Fahrverbot in Raten

Mitten im Sommer, anstatt wie üblich Ende Januar, packt der 60. Deutsche Verkehrsgerichtstag heiße Themen an. Pandemiebedingt musste der Fachkongress verschoben werden. So steht der aktuellen Bußgeldkatalog in der Kritik und die zahlreich vertretenen Anwälte machen sich für weniger und flexiblere Fahrverbote stark.

Seit 60 Jahren Forum für Verkehrsrecht: Goslar.

 ©VGT

Ein Ziel des Bußgeldkatalogs 2021 war die „angemessene Sanktionierung“ von Fehlverhalten im Straßenverkehr  mit dem neuen Punktesystem, Geldbußen und Fahrverboten. Doch in der Praxis ergaben sich neue Probleme. So wird meist um das Fahrverbot gestritten, was nicht nur die Betroffenen belastet, sondern Behörden und Gerichten viel Arbeit macht. Allenfalls bei entsprechendem Verteidigungsvortrag wird noch geprüft, ob es eines Fahrverbots zur Verhaltensänderung überhaupt bedarf. Könnten diese Denkzettelfunktion auch oder sogar besser durch verkehrspsychologische Interventionsprogramme erreicht werden, sodass (aufteilbare) Fahrverbote nur hilfsweise auf Bewährung oder nur gegen Mehrfachtäter verhängt werden müssten?

Cannabis und Alkohol

Ebenfalls umstritten ist unter Juristen das Thema Cannabis und Alkohol. Schon mehrfach hat sich das Gremium mit diesen Dauerbrennern auseinandergesetzt. Dieses Jahr geht es um die Frage, ob man überhaupt einen Grenzwert der absoluten Fahrunsicherheit für Cannabis (THC) braucht.

Alkohol und Cannabis bzw. dessen Wirkstoff THC unterscheiden sich grundlegend in den Auswirkungen auf die Fahrweise und das Unfallrisiko. Stand der Wissenschaft ist, dass sich hinsichtlich der Wirkung bzw. des Verkehrsunfallrisikos Wirkstoffkonzentrationen entsprechend den zum Alkohol anerkannten „Grenzwerten“ wissenschaftlich nicht etablieren lassen.

In diesem Zusammenhang stellt sich aus juristischer Sicht die Frage, ob im Verkehrsstrafrecht Cannabiskonsumenten gegenüber Alkoholkonsumenten privilegiert werden, da es keinen Grenzwert für absolute Fahruntüchtigkeit bezogen auf den Wirkstoff THC gibt.

Präsident Dr. Ansgar Staudinger hat den VGT modernisiert.

 ©VGT

Fahrräder, Pedelecs und E-Scooter

Die Sicherheit von Radfahrern steht beim Arbeitskreis IV im Blickpunkt. Radverkehrsunfälle verharren seit Jahren auf einem konstant hohen Niveau. Vor allem hat sich der prozentuale Anteil gegenüber Pkw-Unfällen verschlechtert. Ein Grund dafür liegt sicherlich im steigenden Radverkehrsanteil, ein weiterer in der besonders ungünstigen Entwicklung der Pedelec-Unfälle.

Der Arbeitskreis wird sich daher zunächst damit befassen, wie es zu Radunfällen kommt und daraus konkrete Verbesserungsvorschläge ableiten. Dabei wird die Erörterung nicht bei technischen Vorrichtungen an Fahrzeugen wie beispielsweise Assistenzsystemen oder sonstigen Vorrichtungen zum Selbstschutz wie z.B. Helmen stehenbleiben können: Setzt mehr Sicherheit im Radverkehr nicht auch voraus, dass die separate bzw. vorrangig von Radfahrenden nutzbare Infrastruktur einschließlich Verkehrstechnik (z.B. Signalisierung konfliktfreier Abbiegeströme) angebotsorientiert ausgebaut bzw. erstmalig hergestellt wird und als solche – intuitiv erkennbar – sicher benutzbar ist? Braucht ein sicherer Radverkehr nicht durchgängige, sichere Netze inner- und außerorts? Wie „Verkehrsdichte-Stress“ und Konflikte vermieden sowie inwieweit ausreichend Platz und geeignete Infrastrukturen für alle Verkehrsteilnehmenden geschaffen werden kann, wird zu diskutieren sein. Nicht zuletzt sollen diese selbst durch ein umsichtiges und regelkonformes Verhalten mit gegenseitiger Rücksichtnahme zu mehr Sicherheit im Straßenraum beitragen, - dazu gehört auch die Frage, wie ein Miteinander verschiedener Verkehrsarten harmonisiert und ein „Kulturwandel“ in der Mobilität gestaltet werden kann.

Die Sicherheit beim Fahren mit E-Scootern beschäftigt einen anderen Arbeitskreis. Im vergangenen Jahr sind bei mehr als 2011 Unfällen mit E-Scootern 2020 Menschen verletzt worden. 5 Menschen starben. 386 Menschen wurden schwer verletzt. In fast jedem dritten Unfall war die Fahrerin bzw. der Fahrer des E-Scooters hauptverantwortlich. Wer schuldlos durch einen E-Scooter zu Schaden kommt, muss dem Fahrer des Scooters ein persönliches Verschulden nachweisen, um von dessen Versicherung Schadenersatz zu bekommen. Gelingt dies nicht, zahlt die Versicherung nichts, kritisiert der ADAC.

Über die Empfehlungen des Verkehrsgerichtstages berichtet VW-Bulli.de ab Montag.

 

von Ernst Bauer