Risiko für Fußgänger, Radler und Biker
Die Unfallzahlen des Jahres 2015 sorgen wieder für Schlagzeilen. Aber wer genauer hinschaut, lernt die wahren Risiken kennen. Diese entlarven manche Forderung als puren Populismus.
Statistiker rechnen in langen Zeiträumen. Obwohl nach 2014 auch 2015 im Straßenverkehr erneut mehr Tote zu beklagen sind, bleiben sie optimistisch. Die erzielten Fortschritte in der Verkehrssicherheit seien über einen langen Zeitraum betrachtet immens. Die Zahl der Getöteten ging bundesweit seit 1970 um 84 Prozent zurück und es gab 33 Prozent weniger Verletzte. Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) sieht dagegen „ein Alarmzeichen dafür, dass wir uns anstrengen müssen, diese Entwicklung wieder umzukehren. Sinkende Unfallzahlen seien kein Selbstläufer, sagte DVR-Präsident Dr. Walter Eichendorf bei der Pressekonferenz des Statistischen Bundesamts in Berlin am 12. Juli.
Im vergangenen Jahr starben 3.459 Menschen im Straßenverkehr, also jeden Tag neun. Das sind 82 Todesopfer mehr als im Vorjahr. Wer tiefer in die Zahlenreihen einsteigt, entdeckt schnell die größten Risiken. Demnach sind Fußgänger (in geschlossenen Ortschaften plus 2,7 Prozent) und Biker (plus 9 Prozent) am häufigsten in der Todesstatistik vertreten. Unfälle, an denen Fußgänger oder Radfahrer beteiligt waren, waren überwiegend auf Regelverstöße anderer Verkehrsteilnehmer zurückzuführen. Der DVR: „Die sogenannten „schwächeren“ Verkehrsteilnehmer müssen noch besser geschützt werden, - alle Verkehrsteilnehmer müssen sich mit Verständnis und Rücksicht begegnen.
Wichtig zu wissen: Die amtliche Statistik zählt nur Unfälle, bei denen die Polizei 2015 gerufen wurde. Insgesamt gab es 2,5 Millionen Verkehrsunfälle auf deutschen Straßen. Das waren 4,6 % mehr als im Vorjahr. Dabei starben 3 459 Menschen, 2,4 % oder 82 Menschen mehr als 2014. Dennoch sind dies deutlich weniger Todesopfer als in den Jahren 1950 bis 2012. Der traurige Rekord wurde 1970 mit 21.332 Verkehrstoten erreicht. Seitdem sank die Zahl der Verkehrstoten um 83,8 %. Die Entwicklung ist umso erfreulicher, da gleichzeitig der Kraftfahrzeugbestand stark gestiegen ist: Gemessen am Fahrzeugbestand war das Risiko 1970, bei Unfällen im Straßenverkehr zu sterben, 16 mal höher als 2015.
Die mit Abstand meisten Fahrradfahrer (61,6%) und Fußgänger (70,2 %) starben 2015 innerorts. Für Kraftradnutzer sind dagegen Landstraßen besonders gefährlich. Die meisten Verkehrstoten gibt es auf Landstraßen. Im Jahr 2015 starben dort 1 997 Menschen, das waren 57,7 % aller Verkehrstoten. Gleichzeitig fand hier nur jeder vierte Unfall mit Personenschaden statt (24,8 %). Die Unfallfolgen waren damit besonders schwerwiegend.
Ein besonders hohes Risiko steht am Straßenrand, egal, ob ein Baumstumpf oder eine ganze Allee: Seit 1995, dem Jahr der Einführung der „Baumunfallstatistik“, haben knapp 22.000 Menschen ihr Leben durch Baumunfälle auf Landstraßen verloren. Das ist die Bevölkerungszahl einer Stadt wie Starnberg, Osterrode oder Husum.
Junge Fahrer größere Gefahr als Senioren!
Der demografische Wandel wird auch in der Unfallstatistik sichtbar: 1991 war erst jeder sechste Verkehrstote 65 oder älter, 2015 war es knapp jeder dritte. Viele Medien konzentrieren ihre kritische Berichterstattung auf Senioren, Politiker und Populisten fordern regelmäßige Gesundheitstests. Dabei sind junge Erwachsene sind immer noch die mit Abstand am stärksten gefährdete Altersgruppe im Straßenverkehr: 13,7 % aller Getöteten und 16,7 % aller Verletzten waren zwischen 18 und 24 Jahren alt, obwohl ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung nur 7,7 % beträgt. Die besondere Gefahr des Straßenverkehrs für die 18- bis 24-Jährigen zeigt sich auch daran, dass von allen im Jahr 2014 Gestorbenen dieser Altersgruppe (2 013) etwa jeder vierte (24,6) bei einem Verkehrsunfall zu Tode kam. Oft genug sterben bei einem einzigen Unfall (meist nach Disco-Touren) zwei oder drei Insassen. Drei von vier Getöteten fuhren das Crashauto selbst.
Ältere Autofahrer stehen insbesondere als Unfallverursacher im Fokus öffentlicher Diskussionen. Laut den Unfallzahlen verschuldeten im Jahr 2015 rund 210 000 Pkw-Fahrer einen Unfall mit Personenschaden. Junge Erwachsene verursachten deutlich häufiger Unfälle als die Generation 65+: Denn 2015 war jeder fünfte Autofahrer, der einen Unfall mit Personenschaden verursachte, zwischen 18 und 24 Jahre, jeder dreizehnte im Alter von 65 bis 74 Jahre und ebenfalls jeder dreizehnte 75 Jahre oder älter. Experten sehen Handy- und Navi-Ablenkungen als weitere Ursachen.
Insgesamt kamen im Jahr 2015 bei Unfällen, die durch Fehler von Pkw-Fahrern verursacht wurden, 2049 Menschen ums Leben. Dabei starben 416 Menschen aufgrund eines Fahrfehlers eines jungen Erwachsenen, 275 Menschen durch den Fehler eines 75-Jährigen oder Älteren.
Da die körperliche Widerstandsfähigkeit mit dem Alter sinkt, tragen ältere Menschen sozusagen von Natur aus ein höheres Risiko, bei einem Unfall tödlich verletzt zu werden: 2015 waren 27 % der getöteten Pkw-Insassen, 52 % der getöteten Fußgänger und 52 ]% der getöteten Radfahrer mindestens 65 Jahre alt. Besonders gefährdet ist die Generation 75+: 33 % der getöteten Fahrradbenutzer und 41 % der getöteten Fußgänger waren 75 Jahre oder älter. Und 60 Prozent der Unfalltoten dieser Gruppe waren die Unfallfahrer selbst (Pkw-Unfälle).
Bei so vielen Zahlen kann sich jeder Interessenvertreter seine Lieblingszahl aussuchen und damit hausieren gehen - gut zu wissen, dass eine einziges Zahl noch lange kein Argument darstellt. Statistiker stellen diese deshalb immer in einen größeren Zusammenhang.