Tempo 120 wird zum Wahlkampf-Streit
Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) will im Süden des Musterländles Tempo 120 verordnen. Jetzt gibt es Streit mit Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und im Stuttgarter Landtag.
Offiziell begründet Hermann seinen Plan als „Modellversuch“. Er umfasst zwei Autobahnteilstücke, nämlich 48 Kilometer der A 96 im Allgäu zwischen Achberg und Aitrach und 32 Kilometer der A 81 vom Kreuz Hegau bis zum Dreieck Bad Dürrheim. Die A 96 ist zwischen Wangen und Leutkirch häufig staugefährdet, darunter leiden Industrie und Tourismus. Die A 81 indessen gilt als attraktive Rennstrecke, vor allem für Schweizer Schnellfahrer. Kaum haben diese von Schaffhausen oder Konstanz kommend nahe Radolfzell oder Singen die Autobahn erreicht, wird kräftig aus Pedal gedrückt. Ferraris, Maseratis, Bugattis und andere Nobelkarossen sieht man dort in ungewohnter Dichte. Meist fahren Sie bis Rottweil, wenden und brausen wieder zurück . Am Ende der Strecke, zwischen Radolfzell und Allensbach gilt dann ohnehin 120. Gleichwohl macht die Autobahnpolizei dort mit Laserpistolen und Lichtschranken fast täglich reiche Beute - viele wollen einfach nicht rechtzeitig vom Gas gehen, wenn wieder Gegenverkehr auf der Bundesstraße einsetzt oder können es kaum erwarten, endlich auf die Tube zu drücken, wenn es vierspurig wird.
Dobrindt, der das Limit ablehnt, und Hermann streiten sich inzwischen brieflich, wobei jeder Schriftwechsel fleißig mit Interview-Zitaten publizistisch unterstützt wird. Jetzt hat die Debatte auch den Landtag von Baden-Württemberg erreicht. Dessen Petitionsausschuss hat zwar 2014 das Plenum beauftragt, einen zweijährigen Modellversuch auf nur 20 Kilometern zwischen Wangen-West und Leutkirch-Süd zu beschließen. Doch für die aktuellen Vorhaben hat der Minister kein Mandat.
Neben Lärmschutz wird jetzt auch mangelnde Verkehrssicherheit als Argument eingesetzt. Auf der A 81 herrsche ein hohes Unfallrisiko. Mit dem Pilotprojekt solle deshalb mehr Sicherheit und Ruhe auf diesen Autobahnstücken erreicht werden, so Hermann.
Gerade entlang den Vulkanbergen im Hegau hat die A 81 steile Teilstücke. Ein großer Geschwindigkeitsüberschuss kann zu brenzligen Situationen führen, wenn schwere Laster oder langsame Transporter die kurvige Bahn befahren. Umgekehrt ist das Teilstück vor allem bei Nässe und Schnee für die Bergabfahrer nicht ohne Risiko. Andererseits hat der Verkehrsminister die seit Jahren bekannte Aquaplaning-Gefahr nördlich des Dreiecks Donaueschingen bisher nicht in seine Limitpläne einbezogen. Zumindest dort, so die örtliche Polizei, wäre ein Tempolimit bei Nässe dringend notwendig.
Unter den Verkehrsteilnehmern, die sich zahlreich in Funk, Fernsehen und in den Regionalzeitungen zu Wort melden, herrscht Uneinigkeit. Weil nach Hermanns Plänen erst von April bis Juni 2016 die tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeiten gemessen und dokumentiert werden sollen, eignet sich der Streit als Munition für den Wahlkampf – nach dem 13. März 2016 gibt es einen neuen Landtag. Derzeit gibt es zwar hohe Beliebtheitswerte für Ministerpräsident Kretschmann, aber weder Grün-Rot noch andere Koalitionen hätten eine Mehrheit.