Ab in die Wüste!
Manfred Lentz hat in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche abenteuerliche Reisen unternommen, etliche davon mit Bullis. In den Jahren 1989 und 1990 fuhren Lentz und seine Frau Karin im T3 durch Algerien. Wir stellen einzelne Episoden dieser Reise vor. Hier geht es um den Anfang der Saharareise oder „Wie auf einer Reise eine andere geboren wurde“.
Der Tag, an dem wir die Idee hatten, lässt sich genau bestimmen:
Es war der 1. Juni 1988. Wir waren in Frankreich unterwegs, und um die Mittagszeit dieses Tages saßen wir neben der Straße hinauf auf den Mont Ventoux in der Vaucluse.
Eine Fahrpause war angesagt. Vor uns auf unserem Campingtisch lagen Entenpastete, Ziegenkäse und ein knuspriges Baguette, das wir im letzten Ort vor dem langen Anstieg erstanden hatten.
Während unsere Blicke über die großartige Landschaft zu unseren Füßen schweiften, sprachen wir ganz allgemein über das Reisen.
Und wie es häufig so ist, kamen wir vom Hölzchen aufs Stöckchen. Plötzlich war der Gedanke an die Sahara geboren.
Karin kannte die Wüste überhaupt noch nicht, ich hatte eine mehrwöchige Tour hinter mir, allerdings mit einer Reisegruppe per Bus. Doch natürlich wäre eine Fahrt zu zweit etwas völlig anderes: wir beide, auf uns allein gestellt, mitten in der größten Wüste der Erde.
Das wäre doch was!
Als wir am Ende unseres Urlaubs nach Berlin zurückkehrten, hatte sich die Sache mit der Sahara nicht etwa verflüchtigt, wie das bei Gedankenspielen oft der Fall ist.
Ganz im Gegenteil waren wir fest entschlossen, unsere Idee in die Realität umzusetzen. Anfang 1989 begannen wir mit der Planung.
Dabei waren zunächst einige grundsätzliche Fragen zu klären.
Frage Nummer 1 war die nach der Strecke. Dass wir neben Algerien nicht auch noch Mali und Niger besuchen konnten, begriffen wir schnell. Sieben Wochen würden uns für unsere Tour zur Verfügung stehen. Durch Algerien bis in eines dieser Länder wäre machbar - aber dann? Eine Rückfahrt innerhalb der sieben Wochen war ausgeschlossen. Also das Auto am Ziel verkaufen und anschließend zurückfliegen? Theoretisch möglich, doch ein Auto zu verkaufen, wenn man unter Zeitdruck steht, ist keine gute Idee. Wenn man Pech hat, kann man es auch gleich verschenken.
Und so schmolz der Gedanke an Mali und Niger denn auch so rasch wie Eis in der Sonne, und übrig blieb "nur" eine Fahrt nach Algerien. Mit einer Anreise auf dem Landweg über Spanien und Marokko. Von der Entfernung her nicht gerade erholsam, aber auf eine Erholungsreise waren wir ohnehin nicht aus.
Frage Nummer 2 war die Frage nach dem passenden Auto.
Es gibt fantastische Wüstenfahrzeuge, bestens geeignet auch für die unwegsamsten Strecken. Doch leider waren auch die Preise für diese Fahrzeuge fantastisch. Wir jedoch suchten ein Gefährt ein paar Nummern kleiner, teils unseres Geldbeutels wegen, teils weil wir die Absicht hatten, es nach Abschluss unserer Reise gleich wieder zu verkaufen.
Fest stand lediglich, dass es ein Neuwagen sein musste, hatte doch keiner von uns Ahnung von Autos. Ein Radwechsel - ja. Zur Not auch mal Öl wechseln. Aber alles Weitere?
Und mit einem gebrauchten Wagen auf einer einsamen Piste liegen zu bleiben, war das Letzte, was wir wollten.
Schließlich kam ein VW-Bus ins Gespräch. Bereits 1972 war ich mit einem "Bulli" in Nordafrika unterwegs, und damals hatte ich ihn als ein robustes und zuverlässiges Fahrzeug kennen gelernt. In der einschlägigen Reiseliteratur für die Wüste schnitt er indessen nicht gut ab. Die meisten senkten die Daumen über ihn und sangen ein Loblied auf Landrover & Co. Klar, über solche Empfehlungen ließ sich nicht streiten - nur eben der Preis!
Am Ende wurde es ein recht tief liegender VW-Bus mit 57 PS, Zweiradantrieb und normaler Bereifung. Aber irgendwie würden wir das Kind schon schaukeln, machten wir uns gegenseitig Mut.
Mein Bildmaterial zu diesem Bericht ist leider nur mäßig. Es handelt sich überwiegend um eingescannte kleinformatige Papierbilder.
Trotzdem habe ich mich entschlossen, dem Thema einen Bericht zu widmen, da es den einen oder anderen Besucher dieser Seite vielleicht interessiert.
Nachdem wir den Wagen mit ein paar dringend empfohlenen Zusätzen aufgerüstet hatten - Zyklonfilter gegen Sand und Staub, Schutzgitter vor den Scheinwerfern gegen Steinschlag sowie ein auf das Armaturenbrett montierter spezieller Kompass -, wandten wir uns dem Innenausbau zu.
Auch hier gab es perfekte Varianten, aber wieder kam das Thema Geld ins Spiel. Wir entschlossen uns für einen Selbsteinbau, denn da wir uns wiederholt mit IKEA-Möbeln abgequält hatten, verfügten wir über einige handwerkliche Fähigkeiten.
Zwei Anforderungen galt es gerecht zu werden: Zum einen brauchten wir ausreichend Platz für Gepäck und Vorräte, zum zweiten benötigten wir eine Möglichkeit zum Schlafen.
Die Lösung dieses Problems war aufwändig, aber das Ergebnis hat sich auf der Reise bestens bewährt: neun Holzkisten im mittleren Teil des Fahrzeugs mit darüber gelegten Brettern, auf denen wir liegen konnten. Vorhänge gegen neugierige Blicke vervollständigten die Einrichtung, dazu ein Geländer im hinteren Teil des Wagens, um das Gepäck daran zu hindern, sich während der Fahrt selbständig zu machen und nach vorne zu rutschen.
Obwohl die Sahara nur zu einem kleinen Teil aus Sand besteht, zu einem wesentlich größeren hingegen aus Steinen, war klar, dass wir uns auch für Sand vorbereiten mussten, auch wenn wir den größten Teil der Strecke auf (qualitativ allerdings oft schlechten) asphaltierten Straßen oder auf Pisten mit festem Untergrund zurücklegen würden.
Was nichts anderes hieß, als dass wir gelegentlich feststecken würden. Die einschlägige Literatur hielt dafür einen Ratschlag bereit: War man mit Reifen unterwegs, die eigentlich zu schmal für die Wüste waren, sollte man bei Sanddurchquerungen einen Teil der Luft aus den Reifen ablassen.
Diese würden dadurch breiter und die Gefahr eines Einsinkens im Sand geringer. Ein sehr nützlicher Ratschlag, wie wir später vor Ort immer wieder feststellten.
Nur mussten Reifen mit reduziertem Druck irgendwann auch wieder aufgepumpt werden, und außerdem mussten wir für den Fall, dass wir trotz des Luft-Ablassens festsitzen würden, alles Nötige parat haben, um uns aus dem Sand zu befreien. Also wurden zwei Luftpumpen gekauft, eine elektrische und eine mechanische (zum Glück, denn die elektrische versagte später mitten in der Sahara den Dienst), außerdem ein Spaten sowie mehrere jeweils 1,50 m lange Sandbleche.
Für die Bleche schafften wir uns einen Dachgepäckträger an, auf dem außerdem mehrere Dieselkanister Platz fanden (nicht in jeder Oase war mit Treibstoff zu rechnen), fünf Kanister für Trinkwasser, um "Durststrecken" zu überbrücken, sowie zwei zusätzliche Ersatzreifen, der eine davon mit Felge.
Signalraketen für einen hoffentlich nicht eintretenden Notfall sowie ein Benzinkocher für unser tägliches Mahl ergänzten die Ausrüstung. Zu klären war auch die Frage der Navigation - in der Vor-GPS-Zeit, betone ich für diejenigen, die sich eine Navigation ohne GPS gar nicht vorstellen können. Heutzutage ist die Orientierung in der Wüste wesentlich einfacher, damals jedoch gab es nur Kompass und Karten.
Ich höre schon die Frage: Waren die Karten denn so exakt, dass man danach fahren konnte?
Jawohl, das waren sie. Karten der Sahara im Maßstab 1:200.000.
Wenn ich mich recht erinnere, gingen sie auf Vorlagen aus der französischen Kolonialzeit zurück. Auf jeden Fall waren es Karten mit unendlich vielen Linien, die richtig lesen zu können nicht nur wichtig war, sondern im Ernstfall sogar überlebenswichtig sein konnte.
Wie für uns an jenem Tag, an dem wir auf einer weiten, bis zum Horizont reichenden Ebene ein paar flache Hügel nicht richtig interpretiert hatten und bereits etliche Kilometer von der Piste abgekommen waren, bevor wir unseren Irrtum bemerkten.
Kein schönes Gefühl - abseits der Piste, außer Sichtweite der wenigen Fahrzeuge, die dort überhaupt nur unterwegs waren und nicht wissend, wo wir uns gerade befanden.
Von allen weiteren Vorbereitungen - und das waren nicht wenige - will ich nur noch den Einkauf von Lebensmitteln und täglichen Gebrauchsgütern erwähnen, den wir kurz vor unserer Abreise in einem Großmarkt tätigten.
Noch nie in unserem Leben und auch später nicht haben wir derartig viel eingekauft.
Aber da es in der Sahara keine Geschäfte gibt und wir nicht wussten, wie oft wir in Oasen unsere Vorräte würden auffrischen können, wollten wir möglichst viel mitnehmen:
Fertiggerichte und Tütensuppen, Brot und Müsli, Kaffee und Tee, Schmelzkäse, Schokoriegel, Toilettenpapier, Küchenrollen und etliches mehr. Letztlich erwies sich alles als ausreichend, lediglich unsere Weinvorräte machten schlapp.
Vor der Reise war uns eben nicht klar gewesen, was es bedeuten würde, Abend für Abend einsam in der Wüste zu stehen, Dunkelheit ab 18 Uhr, und das nächste Lokal Dutzende oder Hunderte Kilometer entfernt.
Doch natürlich haben wir diesen Mangel "überlebt", ebenso wie wir die ganze Reise dank der intensiven Vorbereitung "überlebt" haben*. Eine Reise, die zu einer unserer schönsten geworden ist.
* Was nicht ganz selbstverständlich war. In jedem Jahr gab es damals Wüstenfahrer, die nicht zurückkehrten.