Auf der Nordroute durch Afghanistan im Jahr 1976 Teil 2
Im Sommer 1976 reisten Klaus Mees und seine Frau Katrin, damals 28 und 27 Jahre alt, zehn Monate lang im T2 durch den Nahen Osten und Asien. Hier lest Ihr Teil zwei ihrer Reise auf der Nordroute durch Afghanistan.
Wer Teil eins des Reiseberichts verpasst hat, kann ihn hier nachlesen.
Hallo Bulli- und Reisefreunde!
Nachdem wir die letzten Sandwellen hinter uns gelassen haben, erreichen wir Daulatabad, ein staubiges Nest am Rande der Dasht-i-Leili-Wüste. Es ist noch früh am Nachmittag. In einem Lagerraum warten Afghanen, dösen vor sich hin und warten auf den nächsten Allrad-Minibus. Wind fegt über den Platz und wirbelt Wolken von Staub auf.
Wir füllen unsere Benzinkanister. Bald hat sich ein Menschenauflauf um uns gebildet, aufgeregtes Stimmengewirr. Die Straße nach Andkui soll unpassierbar sein. „Ihr bleibt im Sand stecken!“ Nur die direkte Route durch die Wüste sei befahrbar. Natürlich können wir ihre Gedanken lesen. Sie wollen gratis nach Andkui gebracht und für ihre Führerdienste auch noch bezahlt werden. Sie unterbieten sich: „Only six hundred Afghani, way difficult to find!“ Wir gehen nicht weiter auf ihre Argumente ein, ergänzen an einem öffentlichen Ziehbrunnen unseren Wasservorrat und verlassen das staubige Dorf auf einer festen Schotterstraße.
Nach etwa 20 Kilometern wird unser Fortkommen erstmals durch eine fehlende Brücke erschwert. Eine Umleitung führt in steilem Gefälle die Böschung hinab. Ich steige aus, um den besten Weg zu suchen, in Wahrheit aber, weil ich Angst habe, dass der Wagen nach vorne überkippt. Aber da es keine andere Möglichkeit gibt, fährt Klaus langsam an. Vom Wagen ist von vorn nur noch das Dach sichtbar. Gleich muss sich der Bus mit seinem Bug in den Sand bohren! Aber irgendwie kriegt er doch noch die Kurve und steht alsbald wieder auf allen vier Rädern vor mir.
Im Gehtempo kriechen wir vorwärts, bleiben immer wieder im Sand stecken, wühlen uns tiefer ein, graben uns aus, schieben und ziehen uns gegenseitig aus dem Sand und müssen oft Sandbleche unterlegen.
Bei Vollmond sehen wir Scheinwerferlicht von Autos am Horizont und schließen daraus, dass es wohl noch eine andere und offenbar besser befahrbare Piste geben muss. Also fahren wir am nächsten Morgen wieder ein Stück zurück und schlagen dann die Richtung ein, aus der das nächtliche Scheinwerferlicht kam.
Wir stoßen auf einen afghanischen Bautrupp, der unter sowjetischer Leitung eine neue Straße baut. Ein russischer Ingenieur hat Verständnis für unser Dilemma und gibt uns kurzerhand einen Afghanen als Führer mit. Der steigt bei Mahmoud und Frank ein. Außerdem lässt er die meterhohen Aufschüttungen beiderseits der projektierten Straße mit schwerem Gerät einebnen, damit wir ohne Anstrengung weiterkommen. "Wir sollten diesen Bautrupp ständig dabeihaben, dann wäre die Route kein Problem!“
Jetzt geht es quer durch die Wüste, dreimal bleiben wir noch stecken. Unser afghanischer Begleiter schiebt jeweils kräftig mit. Als wir an einem Fluss ankommen, verabschiedet er sich und läuft wohl ein paar Stunden zu seinem Arbeitsplatz zurück.
Der Fluss, vor dem wir jetzt stehen hat sich ein tiefes Bett, ähnlich einem Canon, in die Wüste geschnitten, das nun etwa fünfzehn Meter tiefer vor uns liegt. Über steile Böschungen winden sich Zu- und Abfahrt mit Spitzkehren den Hang hinunter und auf der Gegenseite hinauf. Obwohl Trockenzeit ist, reicht das Wasser beim Durchwaten noch fast bis an die Knie. Wir gehen die Strecke ab, sehen aber keine Schwierigkeiten und starten.
Als Erste fahren die Münchner langsam zur Furt runter, geben im Wasser Vollgas und kommen auf der anderen Seite ohne Schwierigkeiten hoch. Klaus versucht es auf die gleiche Weise, kommt gut durch das Wasser, bleibt aber an der gegenüberliegenden Steigung hängen. Die Auffahrt ist nass und aufgeweicht und die Reifen greifen auf dem rutschigen Untergrund nicht mehr.
Wir packen das Seil aus und verbinden unsere Autos, aber das Hochziehen mit dem vorwärts oder rückwärts ziehenden Mercedes bringt unseren VW-Bus nicht vom Fleck. Und dann reißt auch noch das Seil. „Wie sollen wir jetzt den Wagen hochbringen?“ Schließlich nähert sich eine Kamelkarawane dem Fluss. Wir versuchen den Treiber für unser Vorhaben, seine Kamele vor unseren Wagen zu spannen, zu gewinnen. Doch der zeigt sich von dieser Idee überhaupt nicht begeistert und treibt seine Tiere stoisch weiter zum Wasser.
Vom anderen Ufer nähert sich ein mit Afghanen vollbesetzter Pickup. Zuerst kommen nur die ganz Neugierigen, nach und nach versammeln sich auch die anderen um unser gestrandetes Auto. Jeder hat eine Idee, Klaus soll den Motor anstellen, den Gang einlegen und alle schieben, bringt nichts. „Das liegt an dem Sand, der sich vor den Vorderreifen aufgetürmt hat!“, meint ein anderer und schaufelt Sand aus der Fahrspur. Erneuter Versuch, bringt auch nichts.
Nächste Idee: Sandbleche unterlegen! Also zwei Bleche über die aufgeweichte Fahrspur gelegt. Klaus lässt den Bus wieder in den Fluss zurückrollen, nimmt erneut Anlauf, schafft es tatsächlich auch ein Stück weiter. Alle springen nun hinter den Bus und schieben kräftig und dann macht es laut „Pfffff!" Aus dem rechten Vorderreifen entweicht mit einem Schlag die Luft.
„Was ist passiert?“ Ein Sandblech wurde im übergroßen Eifer verkehrt herum gelegt, mit den Zacken nach oben und einer davon hat den Reifen nun aufgeschlitzt. „Was jetzt?“ Wir hängen mit einem Platten auf halber Strecke nach oben. „Wer hat noch eine Idee?“
Ein Afghane geht zu dem Kameltreiber und kommt mit einem langen Strick zurück. Den befestigt er an der Abschleppöse. „Ob er doch noch die Kamele einspannt?“ Aber nein, die Afghanen hängen sich selbst ins Seil, alle Mann, fast zwanzig, einer hinter dem anderen, wie beim Tauziehen. Und der Wagen bewegt sich, zunächst langsam, dann immer schneller und dann johlen sie ausgelassen. Im Nu steht der Wagen oben. Geschafft!!!
Uns fällt ein Stein vom Herzen. Wir verteilen Zigaretten und Streichhölzer. Ich will dann rasch den Reifen wechseln, muss aber feststellen, dass alle Radmuttern so festsitzen, als ob sie angeschweißt wären. Wir versuchen es abwechselnd, zum Schluss ist der Radschlüssel hin und eine Radmutter ist jetzt kreisrund. Wir sind wahre Genies!! Auch kein anderes Werkzeug hilft weiter.
Alle möglichen und unmöglichen Gedanken kommen mir in den Sinn: mit dem platten Reifen in die nächste Ortschaft fahren, den Reifen von der nicht abgeschraubten Felge lösen und versuchen einen neuen aufziehen. „Wie soll das gehen?“ Keiner überzeugt wirklich.
Inzwischen brennt die mittägliche Sonne erbarmungslos auf uns herab, der Sand heizt sich auf. Wir rollen die Markise aus, setzen uns in den Schatten und versuchen einen kühlen Kopf zu behalten. Die erste gute Idee stellt sich auch bald ein: Rostlöser "Caramba" auftragen und dann folgt gleich darauf die zweite: "die profillose Neunzehner-Schraubenmutter auf eine Siebzehner-Größe zurückfeilen.“ Wir wechseln uns ab, feilen und feilen, probieren, ob der Schlüssel schon passt, feilen weiter, probieren wieder und es scheint zu klappen.
Mit brutalen Hammerschlägen treiben wir den Kreuzschlüssel über die gefeilte Radmutter. Dann ein erster Versuch, nichts bewegt sich, ein nächster, wieder nichts, ein weiterer Versuch und die Schraube rührt sich. „Caramba!“
Das anschließende Straßenstück, nennen wir "Kamelhighway", weil es breit ist und einen festen, fast ebenen Sandboden aufweist. Wir können wieder hochschalten und donnern voller Begeisterung streckenweise im vierten Gang, eine Riesenstaubwolke hinter uns herziehend, vorwärts. Unsere Begeisterung über die gute Piste währt aber nicht lang.
Im nächsten Straßendorf verengt sie sich wieder. Links und rechts Lehmmauern, Ausweichen ist nicht mehr möglich, nur Platz für eine enge Fahrspur. Und die ist mit einem dicken Lehmstaub bedeckt und von Allradjeeps, Kamelen und Ziegen total durchpflügt. Jetzt ist Konzentration gefragt. Wir wühlen uns durch, mal vorwärts, mal rückwärts, kippen einmal fast um, als es bergab geht, sind mehr mit Schaufeln und Schieben als mit Fahren beschäftigt. Dann lässt sich auf einmal auch kein Gang mehr einlegen, nach vielen Versuchen nur noch der zweite.
Wir preschen jetzt mit Vollgas durch Sandhaufen, wollen nur nicht stecken bleiben. Hühner flattern über Mauern, Menschen und Kamele springen erschreckt zur Seite, als sich unser wackelndes Ungetüm mit heulendem Motor in rasantem Tempo nähert. Dann eine bucklige Brücke. Wir erkennen sie nicht rechtzeitig, schon springt der Wagen nach vorne in die Luft und fällt dann senkrecht wie ein Stein auf den Boden, dass sich unsere Köpfe fast durchs Dachblech bohren.
Das Dorf will nicht enden. Irgendwann erreichen wir den Ortsausgang, die Straße wird wieder breiter und nach mehreren Schaltversuchen lassen sich alle Gänge wieder einlegen. „Wie weit es noch bis zum nächsten Ort, nach Aqcha, wie viele Kilometer?“ wollen wir wissen. Einer sagt: "Do hezar“, 2000, ein anderer meint „Hascht sad“, 800, kurzum, jeder nennt eine andere Zahl. Wahrscheinlich können sie mit dem Begriff Kilometer nichts anfangen.
„Wer braucht hier auch schon eine Kilometerangabe?“ Man bemisst die Entfernung nicht in Kilometern, sondern in Zeit. Ein Afghane lädt uns zum Tee ein. Er führt uns in seine Hütte, eine luftige Konstruktion. Wände und Dach sind aus Ästen und Laubzweigen geflochten. Ein Sockel aus Lehm gibt der ganzen Konstruktion den notwendigen Halt.
Vor der Hütte stehen zwei Pritschen aus Holz, auf denen weitere Afghanen in losen weiten Gewändern und mit großen Turbanen hocken. Sie bewachen ihr Feld mit reifen Melonen, machen uns Sitzplätze frei und servieren Tee. Der Vollmond lässt die Kleider der Afghanen silbrig glänzen. Einer schaltet ein Transistorradio an. Musik von Streichinstrumenten, Trommeln und Schellen. Dann verschwindet unser Gastgeber in der Hütte und kommt mit einer großen Honigmelone zurück. Sie ist zuckersüß. Langsam löst sich die Anspannung des Tages.
Nach der letztmaligen Durchquerung eines Flusses erreichen wir wieder die Teerstraße. Wie kleine Kinder befühlen wir in Hochstimmung den warmen Asphalt, der nun wieder zügigeres Vorwärtskommen verspricht.
In Aqcha suchen wir ein Chaikhana auf. Diese Teehäuser bieten nicht nur Tee an, sondern man kann dort auch essen und übernachten. Inzwischen ist es Abend geworden, rasch füllt sich der Raum, bald sitzt ein Turbanträger neben dem anderen. Jeder wartet auf den erlösenden Ruf vom Minarett, das Startsignal zum Essen.
Wie bestellt man ein Essen ohne Speisekarte? Man geht in die Küche und besichtigt, was dort in großen Töpfen auf einem Lehmherd brodelt. Oft gibt es Reis mit Rosinen und Lammfleisch, das afghanische Nationalgericht. Die Afghanen essen mit bloßen Händen.
In Balkh, ehemals Bactria und Hauptstadt Baktriens, machen wir Pause. Hier ist auch die Geburtsstätte des Propheten und Religionsstifters Zarathustra. Nur mit viel Phantasie kann man in großen Lehmbrocken ehemalige Feueraltäre erkennen. Äußerst aufdringliche Kinder und Souvenirverkäufer am Mausoleum eines Imams kündigen an, dass wir wieder in Gebiete des Tourismus kommen. Bis Mazar-i-Sharif sind es nur noch 18 Kilometer.
Am Abend steht uns der Sinn nach einem gutem Essen. Wir finden ein Chaikhana in der Nähe. In einer Hälfte des Raumes, die als Schlafstätte für Pilger dient, wird es immer voller. Mit dicken Bündeln, dem geschnürten Bettzeug auf dem Rücken oder unter dem Arm, trifft einer nach dem anderen ein. Das Bettzeug wird entweder auf den teppichbelegten Pritschen oder auf dem Boden ausgebreitet. Vor dem Einschlafen wird noch bei einem Glas Tee mit den Nachbarn geplaudert. Zu guter Letzt wird der Turban abgenommen.
Beim Ersten denken wir uns noch nichts, beim Zweiten halten wir es noch für Zufall, als aber der Dritte und die Nachfolgenden sich auch alle als kahl geschoren erweisen, nehmen wir zur Kenntnis, dass Vollbart und geschorener Kopf wohl äußere Zeichen strenggläubiger Afghanen sind. Oder ist es bei diesen Temperaturen vielleicht praktischer sich eine Glatze zu rasieren? Ein weiterer Grund mag sein, dass man oft nicht genügend Wasser hat, sich zu waschen. Und auch Kopfläuse finden auf einem derart kahl geschorenen Kopf keinen geeigneten Platz, um sich zu ernähren und zu vermehren.
Je mehr wir uns Kabul nähern, desto grüner wird das Land. Verkaufsstände mit Granatäpfeln, Melonen, Äpfeln und kunstvoll zu Girlanden gebundenen Trauben säumen die Straße. In der Nähe der Dörfer viele Nomadenzelte, Schafe und Ziegen suchen sich auf Wiesen oder an Bäumen etwas zum Fressen.
Es wird Abend, überall breiten Afghanen ihre Gebetsteppiche gen Westen aus und verrichten ihr Gebet. In der Dämmerung erreichen wir Kabul. Wir müssen noch tanken, durchschauen einen dreimaligen Betrugsversuch erfolgreich und freuen uns, dass der verdutzt dreinschauende Tankwart diesmal das Nachsehen hat.
Klaus Mees hat seine Reiseerlebnisse auch zu einem Buch verarbeitet. Unsere Rezension folgt demnächst.