Buchtipp: Das große Bulli-Abenteuer
Wenn in diesen Tagen das neueste Werk von Peter Gebhard in den Handel kommt, dann wird damit zunächst einmal ein opulenter Bildband Realität. Grandiose Fotos, irre Geschichten, wilde Begegnungen warten auf den Leser. Und doch ist „Das große Bulli-Abenteuer: Von Istanbul ans Nordkap“ viel mehr als „nur“ ein Buch zum Lesen, zum Schauen und zum Träumen. Es ist ein Buch des Staunens. Nämlich darüber, wie sehr ein alter Bulli die Herzen der Menschen zu öffnen vermag. Vorhang auf also für ein Buch über die Menschen Europas.
Das Ganze begann mit der leicht verschrobenen Idee, die Alte Welt von unten rechts nach ganz weit oben zu durchmessen. Und zwar in einem möglichst kultigen Oldie, der sozusagen als „Kontakt-Karre“ dienlich sein könnte. Und was eignet sich besser, um mit den Menschen in den verschiedenen Ländern anzubändeln, als unser geliebter Bulli. Eben!
Also besorgte Peter Gebhard sich einen solchen – und lernte ihn lieben auf den 15.000 Kilometern durch 15 Länder: 99 Tage war er insgesamt unterwegs, von Istanbul bis hoch ans Nordkap.
Dass dafür vermeintlich schmächtige 44 PS völlig ausreichen, zeigt sein Buch, das sich auch in seinen Vorträgen quer durch den deutschsprachigen Raum spiegelt. Doch dazu später mehr.
Denn noch sind wir am hektischen Anfang der ganzen Reise, sollte diese doch im Sommer 2015 über die Bühne gehen. Denn allzu spät ans Nordkap ballern, das kann sich flott im Schneeschauer eines Atlantiktiefs erledigt haben. Außerdem wollte Peter ja den ein oder anderen „Schnappschuss“ mit nach Hause bringen.
Okay Leute, das war jetzt Ironie, denn mit dem Prädikat „Schnappschuss“ kann man die meisten Bilder des Autors und Profi-Fotografen nun wirklich nicht belegen. Dafür betreibt er – Stichwort „Drohnen-Fotografie“ – einen definitiv zu gewaltigen Umfang, der sich jedoch auch in der Qualität der gebotenen Bilder zeigt.
Dass der Bulli seines Vertrauens – ein schmucker Brasilianer – rot und weiß durch die Landschaften ballert, ist von Vorteil, vielleicht auch gewollt. Mit anderen Worten: Die Mühle fällt auf, und gibt gerade in den großformatigen Landschaftsaufnahmen einen ganz wundervollen Kontrast ab. Zudem hat man oft einen Größenvergleich, wie beispielsweise in der Schneelandschaft des Großglockners oder hart an der Kante des Braunkohlereviers Welzow-Süd.
Wer nun aber erwartet, der Bulli müsste auf jedem Bild und aus jedem erdenklichen Blickwinkel zu sehen sein, der wird ein langes Gesicht machen. Denn das Buch ist kein Roadmovie im Sinne einer Nabelschau auf die kleine Welt eines reisenden Volkswagens. Vielmehr ist es so, dass der T1 eine Brücke schlägt: zu den Städten, zu den Menschen, zu den Kulturen. Wäre Peter in einem neuen Auto unterwegs gewesen, in einem reinen Fahr-„Zeug“, dann wären ihm wohl nie so viele Türen geöffnet worden wie mit diesem rattengeilen Oldie.
Klar – man kann nicht von Narrenfreiheit reden, sollte man auch gar nicht. Aber es ist eben doch so, dass man mit einem Bulli – nun ja – gewisse Möglichkeiten im Straßenverkehr hat, will man Fotos an exotischen Orten machen. Und weil nun Peter auch ein heller Kopf ist und weltoffen, passiert es von ganz alleine, dass ihm bei allen möglichen Gelegenheiten „Europa widerfährt“. Fast könnte man beim Lesen meinen, der Autor müsste nur die Klapptür aufmachen, und schon würden sich ihm die Geschichten präsentieren. Ganz von alleine.
Das ist natürlich nicht so – aber es wirkt fast so, so lässig wie sich die verschiedenen Kapitel, an denen sich das „Abenteuer“ immer weiter Richtung Norden hangelt, lesen. Indes beinhaltet dieses Buch auch eine nicht zu unterschätzende Suchtgefahr: Einmal kurz reingeblättert – SCHON hat man sich festgelesen! Also Vorsicht walten lassen. Denn auch das scheinbar Normale, also eine simple Autofahrt, kann sehr spektakulär sein.
Warum? Weil sich Peter Zeit nimmt, dabei oft genug den Bulli auch irgendwo parkt, um zum Beispiel Istanbul, diese 15-Millionen-Metropole kennenzulernen. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Lage in der Türkei ist es ein Faszinosum, diesem Mix aus Orient, Bazar-Gefeilsche und Wolkenkratzern auf die Pelle zu rücken. Was für ein Großstadtlabyrinth!
Danach rollt der Bulli auf teils jahrtausendealten Routen durch die archaischen Gebirgslandschaften des Balkans: Unterwegs bleibt Peter ein paar Tage am Heiligen Berg Athos bei den griechischen Mönchen im Kloster, er trifft in den albanischen Bergen ein Mädel, das sich nur durchs Fernsehen Deutsch beigebracht hat – und er begegnet Trickdieben in Montenegro. Während eine laszive „Sie“ seinen just am Steuer des Bulli sitzenden Kumpel ablenkt, bemüht sich der Dieb um den schnellen Griff ins Auto, um irgendwas von Wert mitgehen zu lassen. Das Manöver freilich, das misslingt – so viel sei verraten. Peter indes kann die Szene geistesgegenwärtig im Bild festhalten. Und da wäre dann auch besagter Schnappschuss. Na also, geht doch!
Weitere Stationen seien nur stichwortartig aufgelistet: In den Alpen trifft Peter auf ein Dorf, in dem die Bewohner noch eine Sprache aus der Zeit der Minnesänger sprechen, an der bayrisch-tschechischen Grenze hört er mysteriöse Schmugglergeschichten, in der Lausitz darf er junge Leute beim Blumenflechten und beim wilden Ritt beobachten – ein uraltes sorbisches Fruchtbarkeitsritual – bevor er in Berlin Zeitzeugen trifft, die vom Leben im Untergrund während der Nazi-Zeit oder der geglückten Flucht über die Berliner Mauer erzählen, die einst Europa trennte.
Und ZACK – da wären sie wieder, die Menschen Europas. Nur so zur Erinnerung: Das ist der Kontinent, in dem wir leben, und in dem wir seit einer ganzen Weile ohne Grenzen und ohne Kriege ganz wunderbar zu Rande kommen. Und Peter trifft sie, die Menschen, bringt sie zum Reden, lacht, staunt – und fährt weiter. Also doch ein Roadmovie? Vielleicht – aber einer mit Stil!
Am Ende kommt er – der ultimative Getriebeschaden ereilt den Bulli zum Glück erst auf dem Rückweg – tatsächlich am herbstlichen Nordkap an. Erleichtert, Glücklich, stolz: Denn die Alte Welt ist so herrlich facettenreich, dass sie jeden Aufwand lohnt, und flotte 15.000 Kilometer bis nach Norden erst recht.
Den Weg hat Peter Gebhard gerne auf sich genommen – um am Ende wunderbare Geschichten von seiner langen Bulli-Reise erzählen zu können. Mal nachdenklich und tiefgründig, mal humorvoll und skurril. Und immer mit wirklich grandiosen Bildern. Und damit wären wir wieder beim Aspekt „Vorträge“: Immerhin gehört Peter Gebhard zu den renommiertesten Vortragsreferenten Deutschlands. Die Leica Camera AG hat seine Dia-Reportagen mit dem Prädikat „Leicavision“ ausgezeichnet, und das ist ja mal schon was.
Auch sein jüngstes Projekt präsentiert er quer durch die Lande, der Link zum Terminkalender findet sich unten. Und wer keine Zeit hat, sich einen Vortrag anzuschauen – oder wer den Genuss im heimischen Lesesessel vorzieht – der sei auf sein Buch verwiesen. Das gibt’s übrigens auch mit Widmung direkt beim Autor.
Hab' ich was vergessen? Ach ja – ganz kurz noch die Quintessenz: Europa? Geil! Hinfahren!!! Peter war schon da ...
Peter Gebhard: Das große Bulli-Abenteuer. Von Istanbul ans Nordkap. 192 Seiten mit ca. 300 Abbildungen, gebunden mit Schutzumschlag, 26,8 x 28,9 cm, ISBN: 978-3-95416-208-6, 39,99 Euro. Weitere Infos, Termine und Bezugsmöglichkeiten unter: www.peter-gebhard.de.