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Buchtipp: Enzyklopädie der wilden Umbau-Exoten

Käfer und Bullis sind seit Jahrzehnten begehrte Objekte von Schraubern, die sich die Fahrzeuge ganz nach ihren eigenen Vorstellungen herrichten. Das Buch "Durchgeboxt" von Thomas Braun gibt einen tiefen Einblick in die Welt der exotischen Umbauten. Heiko Wacker hat es gelesen und stellt es hier vor.

 ©Verlag Schneider Media

Lange bevor der VW Käfer auch nur die Marke von 10.000 Einheiten zu erklimmen vermochte, waren schon die ersten Umbauten unterwegs: Bereits 1945 hatten alliierte Soldaten Spaß mit einem modifizierten Kübelwagen der Wehrmacht, und bald schon gab es weltweit viele hundert Unternehmen, Bastler und Designer, die den stabilen Plattformrahmen als Basis eigener Ideen nutzten. Und dann kam 1950 auch noch der Bulli ins Spiel …

Klar, der Wolfsburger Krabbler war das Nonplusultra, wenn es um die Realisierung eigener Projekte ging: Erst gab es übrig gebliebene Militärfahrzeuge, die mitunter zentral gesammelt wurden, später boten die Mengen an zivil genutzten Käfern einen schier unerschöpflichen Fundus. Schon Mitte der 1950er-Jahre führte der Weg zum Eigenbau zumeist über den nächsten Schrottplatz.

Es entstanden zum Teil abenteuerliche, zum Teil atemberaubend schöne Kreationen – Coupés, Cabriolets, Pick-ups oder auch Buggys. Die Schwerpunkte dieses Schaffens lagen natürlich in Deutschland – und zwar beiderseits des Eisernen Vorhangs – aber auch in den USA, Australien, Argentinien, Brasilien, Belgien, den Niederlanden, Schweden, Italien, Österreich, Polen oder der Schweiz.

Gerne wurden die Spezialfahrzeuge auch mit Porsche-Triebwerken ausgerüstet, und teilweise auch im Design legendärer Porsche-Typ wie dem 356, dem 550 Spyder oder dem 904 designt, was mitunter auch mit dem Wohlwollen des Stuttgarter Stammhauses geschehen konnte, wie der in der DDR entstandene Lindner-Porsche beweist.

Die Vielfalt war enorm, um nicht zu sagen „extrem“, wie der Blick in das opulente Werk „Durchgeboxt“ beweist, in dem erstmals mehr als 1300 Fahrzeuge aus der Zeit zwischen 1945 und heute zusammengetragen wurden. Darunter finden sich auch etliche „Bullis“ – und selbst echte Cracks werden hier Augen machen!

Den DDR-Eigenbau aus Holz auf Basis eines Wehrmacht-Kübels kennt man eventuell noch, war dieser doch schon Anfang Oktober 2007 auf dem legendären Bulli-Treff in Hannover zu sehen. Und auch die Panorama-Busse von Kohlruss, Auwärter oder Schreiner, die Camper von Carbruno aus Brasilien oder die Binz-DoKa‘s, die Vorläufer der offiziellen Bulli-Doppelkabiner, sind in der Szene bekannt.

Doch wer zur Hölle kennt eigentlich Sobkowiak aus Polen, wo bereits in den 1940er-Jahren ein schicker Bulli auf Basis eines 1941er-Fahrgestells entstand? Oder wer weiß, dass es den Tempo Matador ab 1949 mit VW-Industriemotor gab? Oder kennt sich jemand mit der Firma Fleischer aus Gera aus, die ebenfalls Busse auf Kübelbasis realisierte – oder mit dem Palten-Transporter, der dem T2 schon 20 Jahre vor dessen Existenz ähnelte? Und dann gibt es noch diverse Unikate, wie sie gerade in der damaligen DDR entstanden, besagter Holz-Bus ist ein gutes Beispiel, wobei manche Entwicklungen sogar an höchste Türen klopften, ein Fridolin-Vorläufer der Marke Voll aus Würzburg nahm schon 1954 so manche Idee des Typs 147 vorweg.

Und man könnte die Liste weiter fortsetzen: Da gäbe es noch den tarnfarbenen T1-Luftwaffen-Panorama-Bus von 1960, Camper auf Basis des VW Käfer, den Revel-Transporter als Mix aus Bulli und Fiat Multipla, den schwimmfähigen Camper namens „Suleica G 500“ auf einem Fahrgestell des VW Bulli Typ 26 mit Platz für sechs Personen oder den mit Aufstellzelt versehenen Phoenix Camper der späten 1970er-Jahre aus den USA und den „Letherbarrow“ aus Südafrika, beide ebenfalls auf T2-Plattform basierend.

Zusammengetragen hat diese Fülle der österreichische Historiker Dr. Thomas Braun, der in jahrelanger Forschungsarbeit alles zu sammeln vermochte, was so rund um den Globus an Sonderfahrzeugen auf VW-Basis gestaltet und produziert wurde. Und das ist eine ganze Menge, „Durchgeboxt“ ist ein Mammutwerk mit 448 Seiten, mehr als 1.750 größtenteils farbigen Aufnahmen und Hinweisen zu über 1.300 Modellen, wie schon erwähnt. Und dabei ist das Thema noch längst nicht bis in die letzte Ecke ausgeleuchtet, ein Sammelsurium an Skurrilitäten, zu denen allenfalls ein unscharfes Foto und sonst nichts existiert, beschließt das Buch, dem freilich bei einer Neuauflage eine etwas sorgfältigere Korrektur der Worttrennungen gut zu Gesicht stehen würde.

Dem irren Informationsgehalt des Buchs tut dies freilich keinen Abbruch, wer auch nur einen Hauch von Interesse an diesem Thema hat, der wird schon bei sachtestem Durchblättern aus dem Schmökern nicht mehr herauskommen, und wohl auch ziemlich sicher die Zeit völlig vergessen.

Zu den renommierten Firmen, die sich der VW-Technik bedienten, gehörten Apal, Beutler, Rometsch, Hebmüller, Karmann und viele weitere. Unter den Herstellern waren auch Exoten wie Espenlaub, Dingo oder Feix. Bekannt für enorme Kreativität war zudem die Meisterschule Kaiserslautern. Heute führen Spezialisten wie Wittera oder Replicar Hellas die Tradition fort, die erst vor gut einem halben Jahrhundert überhaupt entstand.

Schon erstaunlich: Seit den ersten Hochphasen der Modifizierungsfreude sind kaum mehr als ein paar Jahrzehnte vergangen – und doch sind schon viele Informationen im Dunkel der Geschichte versunken. Um so wichtiger, dass es Bücher wie dieses gibt, ist doch „Durchgeboxt“ ein nicht ganz billiges Werk, aber eines das den Beinamen „Enzyklopädie“ zu Recht trägt!

Thomas Braun: Durchgeboxt. Die große Enzyklopädie der Kleinserien und Eigenbauten auf VW-Käfer- und Bus-Basis – mit vielen Porsche-Beispielen. Verlag Schneider Media 2018; Vertrieb über den Delius Klasing Verlag, Bielefeld. 448 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, über 1.750 farbige und sw-Abbildungen, über 500 Hersteller, mehr als 1300 verschiedene Modelle, Format 23,1 x 27,5 cm, ISBN 978-3-667-11444-0, 59,90 Euro.

von Gerhard Mauerer