Buchtipp: Mein schlimmster schönster Sommer
Eine schicke Business-Lady, eine niederschmetternde Diagnose und ein Bulli am Straßenrand – mehr braucht Stefanie Gregg nicht, um eine aberwitzige Odyssee zu stricken, die sich anfänglich in Richtung Provence zu entwickeln scheint, um schließlich ganz woanders zu finalisieren. Und atemlos verfolgt der Leser die abenteuerliche Reise der Protagonisten im Bulli. Doch der Reihe nach …
Isabel, die smarte Unternehmensberaterin, fühlt sich in der Münchner Schickeria durchaus wohl: Die Asche stimmt, ihr in der selben Branche tätiger Partner Georg ist mehr als herzeigbar, das Leben ist satt und sauber. Alles bella also – bis zur Diagnose. Es geht da um Krebs, um eine in zwei Wochen anstehende Behandlung in der Klinik und um den wohlwollenden Rat des Herrn Doktors, sie solle doch einfach mal Urlaub machen, krank geschrieben wäre sie ja nun.
Der Arzt meint es gut – nicht wissend, dass Isabel auf dem Rückweg einen Bulli am Straßenrand sieht. Einen Bulli, der zum Verkauf steht: „Dann sah ich ihn, den gelben Campingbus mit weißem Dach und Regenbogenaufkleber auf der Heckscheibe und dem großen Schild »Zu verkaufen« im Fenster. Mit seiner grellen Farbe sprengte er geradezu die graue Häuserfront. Ich bat den Taxifahrer anzuhalten und stieg aus. Wie mechanisch wählten meine Finger die Telefonnummer, die mit dickem Stift auf den Pappkarton geschrieben war.“ Endlich tut sie das, was sie noch nie wirklich getan hat: Sie ist spontan – und sie entscheidet sich für den alten VW-Bus. Gelb, weißes Dach, Regenbogenaufkleber. Alles klar?
Da ist nur ein Haken an der Sache: Der Verkäufer – Rasso mit Namen – hat noch ein paar Erledigungen mit dem Bus vor. Isabel wiederum hat das genau nicht, was der Typ im Batikhemd im Überfluss zu haben scheint: Zeit nämlich. Doch man wird sich einig, sie „mietet“ den Bus erst einmal für zweitausend auf zwei Wochen – Geld spielt ja nun wirklich keine Rolle mehr, wenn man nicht weiß, ob man je wieder auf eigenen Füßen aus der Klinik geht – und die Reise durch die bayerische Provinz beginnt.
Kommoden von verstorbenen Müttern wollen transportiert werden, selbige in Urnenform ebenso – doch zu ihrem eigenen Erstaunen macht das Isabel gar nichts aus, während sie mit Rasso losgondelt. Ihr Smartphone bleibt zu Georgs Erbauung in der gemeinsamen Schickimicki-Wohnung zurück. Unterdessen entdeckt Isabel, dass sie einen Bus samt Fahrer gemietet hat, der ein gerüttelt Maß an Lebenschaos pflegt, aber auch ein gerüttelt Maß an purer Lebensfreude verströmt. Und sie entdeckt, wie sehr sich das geleckte Dasein als Business-Girl über ihre Seele gelegt hat in den letzten Jahren des beruflichen Erfolgs. Und dass man nicht nach Thailand ins Nobelressort reisen muss, um glücklich zu sein. Nein – glücklich kann man zuweilen auch mit einem Zwieback aus der Notreserve eines VW Campers von 85 sein. Bulli-Fans wissen das – alle anderen lernen es auf unterhaltsamen 290 Seiten.
Der Bulli bleibt bei allen Abenteuern natürlich stets präsent. Und doch ein wenig unsichtbar. Natürlich beschreibt die Autorin den abgewohnten Innenraum eines Kiffermobils – „roch nach Jugend, Party, Unbedachtsamkeit, Abenteuer“ – lässt unbedarfte Leser an der Faszination teilhaben, die ein solches Zuhause auf Rädern auszustrahlen vermag oder ergeht sich in der Tatsache, dass ein T3 mit 360.000 auf der Uhr bei Tempo 120 jegliche Unterhaltung obsolet macht.
Bei all dem zeigt sie aber auch, wie sehr ein „gedämpftes Leben“ zwischen Meetings, oberflächlichen Gesprächen über den Zaster und stupiden Besuchen im Fitnessclub, das Isabel eben führte, den Geist verklebt, verkleistert, verstopft. Und wie gut es dem Bewusstsein tun kann, einfach mal das „normale“ Leben zu führen. Wobei – was ist schon normal? Ist es normal, halb in einen Banküberfall zu taumeln? Ist es normal, einen religiösen Spinner aufzusammeln? Ist es normal, von einem Irren im Wald mit einer Flinte bedroht zu werden? Wohl eher nicht …
Völlig normal ist es jedoch, dass man auf einer Reise Menschen trifft, mit denen man nie gerechnet hätte – wenn man bereit ist, die eigene Verklemmung hinter sich zu lassen.
Für all das ist der Bulli genau das richtige Gefährt, auch wenn die Autorin manchmal ein wenig zu sehr mit den Klischees vom Kifferauto spielt, über das man ansonsten aber sehr wenig erfährt. Klar, man kann sich das ein oder andere zusammenreimen, beispielsweise, dass es sich bei einem 85er höchstwahrscheinlich um einen T3 handeln dürfte, und nicht, wie das Titelbild suggeriert, um einen T1.
Trotzdem gelingt es Stefanie Gregg ganz wunderbar, den Bulli bei aller Zurückhaltung als genau das Gefährt in Szene zu setzen, das es ist – als das Gefährt, das einem die eigenen Träume näher bringt. Dafür muss das Gefährt nicht einmal einen Namen haben.
Ohne den Bulli würde die Geschichte kaum in der gebotenen Leichtigkeit funktionieren, der man beim Lesen rasch verfällt. Das Buch erstmals aufzuschlagen, wenn man abends nur mal eben zehn Minuten lesen will, ansonsten aber früh ins Bett muss wegen eines Termins am nächsten Morgen? Ganz schlechte Idee, ganz, ganz schlecht – man wird den am Ende bittersüß auslaufenden Roman nur schwer wieder weglegen können.
Vielleicht aber lernt man was aus dem Buch: Dass es nämlich wichtigere Dinge gibt als Kohle und die große Karriere. Viel, viel wichtigere Dinge. Es ist schön, dass Stefanie Gregg darüber schreibt. Und vielleicht macht man dann einfach eine Flasche Wein auf und den Wecker aus, wer weiß?
Stefanie Gregg: Mein schlimmster schönster Sommer. Aufbau Verlag Berlin 2017, Broschur, 290 Seiten, Format 115 x 188 mm, ISBN 978-3-7466-3321-3, 9,99 Euro.