Buchtipp: Orte der Berüsselung - Schöner Tanken!
Tanken müssen alle, auch Bulli-Fahrer. Ein neues Buch beleuchtet nun detailreich und liebevoll die Geschichte der Tankstellen. Heiko Wacker hat es gelesen, hier ist seine Besprechung des Buchs.
Hallo Bulli-Freunde!
Wir schreiben das Jahr 1888, es ist August – und in der Stadt-Apotheke in Wiesloch südlich von Heidelberg wird Weltgeschichte geschrieben. Eine charmante Dame hätte gerne fünf Liter Ligroin, ein Reinigungsbenzin. Draußen parkt derweil ein skurriles Vehikel, das neuen Treibstoff braucht: Solcherart „eröffnet“ Bertha Benz quasi im Vorbeifahren die erste Tankstelle der Welt. Die befindet sich heute, welch Ironie der Geschichte, in einer Fußgängerzone.
Es war so üblich, zunächst deckten sich die frühen Automobilisten bei Kolonialwarenhändlern oder eben Apothekern ein – so man es sich nicht leisten konnte, größere Depots in der heimischen Garage anzulegen. Erst am 14. Juni 1907 wird in Seattle eine „richtige“ Tanke eröffnet, mehr als ein Dutzend Jahre, bevor am Hannoveraner Raschplatz Deutschlands erster Tankkiosk loslegte. Das Spritreservoir unterm Gehweg verborgen, auf der leeren Straße noch Platz genug, um lässig anzuhalten: Auch in Europas Süden war und ist das Tanken am Bordstein eine feine Sache, kein Wunder bei meist gutem Wetter.
Nördlich der Alpen freuten sich die Automobilisti – und vor allem die Tankwarte – hingegen über ein festes Dach überm Kopf. Doch als die staatlich organisierten Tankstellen an den während der Nazizeit forciert gebauten Autobahnen plötzlich mit ihrem weltoffenen Stil punkteten, da war das den braunen Machthabern denn doch zu viel. Bräsig-regional sollten die Stationen ab 1937 sein, und keine Architekturblickfänge in Bauhaus-Optik.
Nachdem das Tausendjährige Reich in Trümmern lag, begann die goldene Zeit der Tankstellen, wie sie bis heute unsere Erinnerung prägen. Das Wirtschaftswunder schuf unzählige Betriebe, an denen der Tankwart seines Amtes waltete. Zwischen 1950 und 1960 wuchs die Zahl der Tankstellen in Deutschland von 18.200 auf knapp 34.000. Und damals, vor der Erfindung der Dienstleistungsgesellschaft, gab es sogar noch richtige Dienstleistungen. Zum Beispiel im Café, als man die Getränke nicht selbst abholen musste. Oder eben beim Tanken, wo Ölkontrolle und Scheibensäubern zum selbstverständlichen Service gehörten. Übrigens gerne auch mal mit ’ner Kippe im Mundwinkel – man sah’ das nicht so eng.
Dann kam „SB“: selber den Rüssel in die Kiste halten, zwei Pfennig sparen. Heute lacht man angesichts eines Literpreises von umgerechnet knapp 28 Cent über diese Idee, vor 40 Jahren war das hingegen plötzlich „in“ an vielen der 46.000 Stationen, die sich um 16,3 Millionen Autos und Laster kümmerten. Es war der Zenit, der Höhepunkt: selbst im kleinsten Dorf konnte man Sprit nachfassen, und sei es nur an einer einzelnen Säule, die vom Muttchen bedient wurde, das nebendran am Stricken war.
Keine Frage: in den rund 100 Jahren, die wir inzwischen mit der Berüsselung unserer fahrbaren Untersätze zubringen, ist die Tankstelle ein fester Teil unserer Kulturgeschichte geworden – und kaum weniger wichtig als die Fahrzeuge, die es dort zu berüsseln galt und gilt. Das erklärt vielleicht auch die Wehmut, die so manch einen an einer alten Tankstelle befällt – und den Erfolg von Büchern wie „Schöner tanken“, das sich den Zapfsäulen dieser Welt widmet, und auf 240 Seiten eine regelrechte Weltreise unternimmt. Denn getankt wird bei uns ebenso wie in Asien, und mitunter eben auch aus Plastikflaschen.
Zwischen den Anfängen und der Gegenwart hat sich die Tankstelle zu mitunter grandiosem Schick aufgeschwungen, auch wenn viele Tankstellenketten der heutigen Zeit eher phantasielos daherkommen. Das war früher anders, als es noch kleine Privatunternehmen gab, die sich auch architektonisch abheben wollten und konnten.
Natürlich verwöhnt das Buch auch mit Klassikern, längst verlassenen Tankstellen an der Route 66 beispielsweise, die 1960er-Jahre waren gerade in den USA die Blütejahre der Tankstelle. Die Flossen groß, die Autos nicht minder, Benzin billig wie Wasser – Jahre des prallen Autolebens.
Andere Länder, andere Sitten: In Deutschland wäre weder ein Tankstellenhäuschen in einem 1.500 Jahre alten Baumstumpf denkbar, noch eine komplett vergoldete Tankstelle, wie sie sich im Irak findet. Was jedoch alle Tankstellen dieser Welt eint: Sie sind die großen Gleichmacher, der US-Fernsehmoderator Jay Leno schreibt in seinem Vorwort: „Tankstellen sind demokratische Orte. Jeder muss mal tanken, genau wie jeder sterben und seine Steuererklärung machen muss.“
„Schöner Tanken – Tankstellen und ihre Geschichten“ ist ein vielfältiger Bildband, der auf lange Texte verzichtet, und statt dessen Bilder sprechen lässt. Die alleine genügen aber auch, um den Band zu einem opulenten Geschenk für alle Auto-Fans zu machen, auch wenn kein einziger Bulli in Szene gesetzt wurde. Und selbst ein in einer Bildunterschrift auftauchender Käfer ist in Wahrheit ein 170er Mercedes.
Egal: „Schöner Tanken“ ist ein fein gemachtes Buch, das der Tankstelle in ihrer Rolle als Kulturgut mehr als gerecht wird. Dafür tausend Tank!
Das Buch gibt es im Buchhandel – oder direkt bei: www.gestalten.com
Sascha Friesike und Lay Leno (Vorwort): Schöner Tanken – Tankstellen und ihre Geschichten. Gestalten Verlag Berlin 2018, 240 Seiten, gebunden, 210 x 260 mm, ISBN 978-3-89955-677-3, 39,90 Euro.