Buchtipp "Traumauto Volkswagen": Bulli & Co. in der DDR
Bullis und andere Volkswagen in der DDR? Gab es das? Oh ja, und zwar gar nicht so wenige. Der Konzern-Kenner Eberhard Kittler hat ein wunderbares Buch zu dem Thema geschrieben, das Heiko P. Wacker hier begeistert vorstellt.
Hallo Bulliffeunde!
Das Bulli-Festival anno 2007 in Hannover ist Legende, solch ein Stelldichein wird es wohl in dieser unbekümmerten Art nie mehr geben. Für so manchen Bullifan war das Treffen aber nicht nur Party, sondern auch Geschichtsstunde.
Denn so stand manch einer plötzlich unterm Pavillon vor einem skurrilen, äh T1? Ein kundiger Bastler hatte den Eigenbau mit der geteilten Frontscheibe wohl 1951 auf das Fahrgestell eines Kübelwagens gezimmert, die Vollholzkarosse bot neun Sitzplätze, offiziell zugelassen war das Gefährt auch, das Nummernschild zeigt noch heute die „OE 44-87“. Und plötzlich ploppt die Frage auf: Der Bulli in der DDR? VW in der DDR?
Ja, Leute, die Mauer mag das Land geteilt haben, doch Fans hatten die Autos aus Wolfsburg oder Hannover hie wie da. Der Eigenbau war ein sicherlich sehr seltenes Beispiel, doch bis zum Mauerbau kamen auch diverse Käfer und Bullis in den Osten – um gepflegt und am Leben erhalten zu werden. So manches Sammlerstück aus der Frühzeit der Brezel- oder Barndoorgeschichte hat sich genau aus diesem Grund bis in unsere Zeit erhalten.
Und dann gab es natürlich noch den Export von Golf und T3 Bulli in die DDR.
Bereits im Dezember 1984 gelangten die ersten von 2400 Einheiten des T3 Busses in den deutschen Osten, Achtsitzer, Doppelkabiner und alleine 600 Pritschen mit dem 1,6 Liter großen Dieselmotor wurden über die Zonengrenze geliefert, und schon 1985 stand ein T3 California mit Aufstelldach auf der Leipziger Messe. Leider kam dieser Klassiker unter den Fernwehmobilen nicht ins Lieferprogramm, doch Begehrlichkeiten weckte er ganz sicher.
Rund 90 Prozent dieser T3 gingen an Gewerbetreibende, an Handwerker, an Landwirtschaftliche Produktionsgemeinschaften, die „LPGs“, aber auch kinderreiche Familien konnten so ein Fahrzeug für DDR-Mark erwerben. Und so sah man zwischen den Trabi und Wartburg bald auch bundesdeutsche Autos aus Hannover und Wolfsburg. Das war die Realität: Der VW Golf oder der T3 Bulli waren zwar in geringer Stückzahl, aber nun eben auch offiziell in die DDR gekommen, ein Volkswagen galt auch im Sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat als ein Traumauto. Und dem hat Eberhard Kittler, Spezialist für die automobile Geschichte der DDR wie des Volkswagen-Konzerns, ein lesenswertes Buch geschrieben.
Eberhard Kittler war stellvertretender Chefredakteur der Fachzeitschriften Oldtimermarkt und mot, er war bei der „auto motor und sport“, hat über 20 Automobilsachbücher veröffentlicht, und war bis 2017 Konzernbeauftragter bei Volkswagen Classic. Anschließend leitete er drei Jahre das Automuseum Volkswagen, und damit hat er natürlich die besten Verbindungen in die Archive und zu den Zeitzeugen. Und genau deshalb ist sein Buch so ungeheuer wichtig, denn die Entwicklungen der 70er und 80er drohen sonst in der Vergessenheit zu versinken.
Leider ist das gewichtige Werk mit rund 50 Euro kein Schnäppchen. Gleichwohl ist es Kittlers großer Verdienst, mit den Zeitzeugen zu sprechen – was mitunter coole Details hervorbring,t wie eine mit Unterschriften versehen Radkappe, die als netter Gruß von West nach Ost geliefert wurde, und viele Jahre als verschollen galt. Und noch im April 2021 traf sich der Autor mit Carl Hahn, der sich noch gut an die Verhandlungen erinnern konnte, mit denen die Automobilproduktion der DDR modernisiert werden sollte.
Volkswagen hatte natürlich im ureigensten kapitalistischen Interesse schon sehr früh versucht, Autos nach Ostdeutschland zu liefern. Und schließlich gelang es ab 1978, die ersten 10.000 VW Golf zu verfrachten. Das war ein deutlicher Vorstoß, dem weitere Verhandlungen folgen sollten, zumal auch andere Firmen aus dem Westen nicht eben müßig waren. 2014 gab es übrigens in der Stiftung Automuseum Volkswagen eine Ausstellung anlässlich des 25. Jahrestags des Mauerfalls – hier standen ein orangefarbener Golf 1 und ein T3 Transporter in typischem blau einträchtig nebeneinander, beide Fahrzeuge waren als Vorboten der Einheit in die DDR gelangt.
Historisch korrekt schaut das Buch, in dem sich leider einige ärgerliche Tippfehler finden, jedoch zunächst in die Frühzeit, um die Geschichte der Westautos in der jungen DDR zu beleuchten, bis zum Mauerbau gelangten immer wieder solche „rüber“, selbst Exoten wie ein Messerschmitt Kabinenroller oder ein DKW Schnelllaster, von Freunden wegen des Zweitakters gerne auch „Heulsuse“ genannt, sah man. Und dann gab es natürlich die Käfer und die verschiedensten Umbauten auf Basis von Kübel- oder auch Schwimmkübelwagen aus Kriegszeiten, die von Fachbetrieben oder findigen Tüftlern als Limousine, als Coupé, als Transporter oder sogar als allradgetriebene Zugmaschine eingekleidet wurden. Zahlreiche dieser handwerklich anspruchsvollen Unikate finden sich heute in den verschiedenen Sammlungen. Zudem gab es autorisierte Volkswagen-Werkstätten zwischen Rostock und Bautzen, gut 20 Betriebe kümmerten sich um den Fahrzeugbestand.
Zu finden sind in Kittlers Buch diverse Originalrechnungen aus Magdeburg oder Dessau, auf denen das VW-Emblem und der offizielle Hinweis „Vertragswerkstatt“ oder „VW Reparatur Kundendienst“ zu finden ist, welch spannendes Kapitel deutsch-deutscher Automobilgeschichte! Und natürlich wurde auch Rennsport mit VW-Technik betrieben, der stets sehr dynamisch bewegte „Pattuschkäfer“ ist ein gutes Beispiel, Jörg Pattusch wurde 1979 mit seinem Rennkäfer gemeinsam mit Reiner Pauli Volkswagen Rallye-Meister der Deutschen Demokratischen Republik.
Eberhard Kittler wagt zudem den Blick in andere Länder des Ostens, nach Polen, nach Jugoslawien, nach Rumänien, bis es schließlich zur Geschäftsidee Golf kommt – und plötzlich standen Pressen aus dem VEB-Kombinat Umformtechnik „Herbert Warnke“ (Erfurt) in Wolfsburg oder auch in Mexiko, bis 2017 waren welche im Dienst. Im Gegenzug kam der Golf in die DDR, offiziell verkauft vor allem im Großraum Berlin, doch bald schon fanden sich die Fahrzeuge auch jenseits der Hauptstadt, als Zwei- oder Viertürer geliefert in malagarot, panamabraun oder dakotabeige belebten die Fahrzeuge die Straßen der DDR. Der auf dem Titelbild des Buches angeschnittene Golf von 1978 steht heute übrigens im Auto Museum in Wolfsburg. Und weil auch für den Service gesorgt werden musste, kamen Ersatzteile in die DDR, als Kompensation lieferte die DDR Stahlblech, Scheinwerfer für Golf 1 und 2 sowie später für den Transporter T3.
Gleichzeitig wurde mit dem Gedanken gespielt, VW-Triebwerke in Wartburg und Trabant einzubauen, was mitunter technische Probleme nach sich zog. Anfang 1983 kamen je ein Trabant und ein Wartburg aus dem Ostberliner „Bevölkerungsbedarf“ nach Wolfsburg, dort wurde wie von VW versprochen versuchsweise ein Viertaktmotor eingebaut. Was ein Aufwand! Im Wartburg klemmt der Kühler schließlich schräg im Motorraum hinter dem Zündverteiler. Das Zweitaktgetriebe sollte freilich beibehalten werden, bei Probefahrten auf dem kleinen Prüfgelände gab es aber ab Tempo 50 schlimme Geräusche, der große Wendekreis und die abenteuerliche Lenkgeometrie waren grenzwertig.
Doch schließlich wurde 1984 ein immerhin 800 Seiten langer Hauptvertrag zum „Motorenprojekt Alpha“ zwischen dem Außenhandelsbetrieb der Deutschen Demokratischen Republik und der Volkswagen Aktiengesellschaft geschlossen – alleine die Schnappschüsse, die während der Verhandlung entstanden, mitunter beim Abendessen in Berlin oder bei Sitzungen in Wolfsburg, sind Motive aus einer anderen Zeit. Denn auf den Tischen standen die Bierflaschen und die Aschenbecher noch einträchtig nebeneinander. Es sind solche Bilder und Einblicke, die den Wert von Kittlers Buch ausmachen. Denn als ausgewiesener Kenner hatte er nicht nur die Möglichkeiten, in die Archive und in die Erinnerungen der Zeitzeugen zu blicken. Nein, er tat dies auch mit kundiger Hand! Freunde automobilhistorischer Geschichtsschreibung sollten dieses Buch wirklich kennen.
Eberhard Kittler: Traumauto Volkswagen. Wie Käfer, Golf und Bulli in die DDR kamen. Motorbuch Verlag Stuttgart 2024, 255 Seiten, 380 Abbildungen, Format 21 x 28 cm, gebunden, ISBN 978-3-613-04640-5, 49,90 Euro.