Buchtipp: Verlassene Fahrzeuge - über den Charme des Zerfalls
Ein Käfer im Wald, ein Bulli in der staubigen Scheune, der Schlüssel steckt: Solche Bilder wecken Sehnsüchte, reizen die Phantasie. Obgleich es Bilder des Vergangs sind, morbide zumal. Benjamin Seyfang hat sie in einem Buch vereint.
Hallo Bullifreunde!
Eins vorneweg: Es geht um "verlassene Fahrzeuge", und auch, wenn auf dem Titel der Zusatz "in Baden-Württemberg" steht, so hat das keinerlei Relevanz. Denn exakte Ortsangaben, wo genau ein Fahrzeug parkt oder modert, finden sich ohnedies nicht, und das ist auch gut so. Zudem könnten die Bilder überall entstanden sein. Denn die Natur erobert auch das stolzeste Wrack, liegt es erst einmal im Gesträuch.
Doch der Reihe nach: Benjamin Seyfang, geboren 1988 in Esslingen, arbeitet als Fachkraft für Abwassertechnik. Durch Arbeiten in der Graffiti-Szene begann er sich schon bald für das Thema "Lost Places" zu interessieren. Dabei entdeckte er "die Schönheit des Zerfalls". Mit seinen Bildbänden, allen voran "Lost places in Baden-Württemberg" feierte er große Erfolge. Den dürfte er mit seinen "lost vehicles" fortsetzen, denn so marode manche Fahrzeuge sind, so gelungen inszeniert er sie. Auch wenn man zuweilen drei-, viermal schauen muss, ob die sich knutschenden Pneus der verschrobenen Achsen wirklich zu einem Goggomobil gehören.
Und Bullis? Klar, gibt es auch. Staubig und erstaunlich gut in Schuss parkt da dieser T2b-Fensterbus in seiner Scheune, nicht mal die Reifen sind platt, selbst den Lack würde ich nicht ersetzen, sondern nur aufarbeiten. Ein anderer T2b freilich hat weder Fahrertür noch Frontscheibe, dafür aber ab den Kniestücken soliden Waldbodenkontakt, vermutlich war er mal kommunalorange lackiert. In seinem ersten Leben. Irgendwann in den 1970er-Jahren.
Wer sich für alte Fahrzeuge, alte Bullis zumal, auch nur entfernt interessiert, beginnt bei der Betrachtung der Bilder umgehend mit der Bestandsanalyse. Der untere halbe Meter, einmal rundum, klar. Scheiben sind kein Problem, ein Luftboxer findet sich allemal, und das Getriebe hat ohnedies keiner ausgebaut. Doch das Fahrzeug wird wohl weiter an Ort und Stelle rotten. Es sei denn, es kümmert sich jemand um den Schrotthändler – oder es kümmert sich ein Retter ums Dornröschen, bevor gefrustete Randalekids ihre eigene Nutzlosigkeit an wehrlosem Blech abarbeiten. Denn retten kann man alles, das zeigte der sensationelle Fund des 1951er-Samba, über den wir schon 2017 berichten durften (www.vw-bulli.de/geschichten/aeltester-t1-samba-der-welt-gefunden). Inzwischen fährt die Mühle wieder, doch das ist eine andere Geschichte.
Darum geht es Benjamin freilich nicht, er möchte lieber den Zauber des allmählich Verschwindenden festhalten, dem Fahrzeug im Bild auch eine Würde geben. Gut kann man sich deshalb vorstellen, wie er das bemooste Wrack umrundet, Blickwinkel sucht – so es die Brombeeren zulassen oder Zaun, der da im Weg ist – bevor er abdrückt. Und manchmal auch macht er sich die Mühe, und illuminiert ein Käferhäuschen mit Teelichtern, eine schöne Idee. Spätestens dann fühlt man sich an den "Herrn der Ringe" erinnert. Ihr wisst schon: Die Stelle an der Kreuzung, Gollum drängt die Hobbits zur Eile und in Richtung Mordor, nahebei steht die Statue eines der alten Könige, der Kopf ist abgeschlagen, liegt im Gras. Doch plötzlich bescheint die untergehende Sonne den mit Blumen bewachsenen Kopf, so dass Sam laut ausrufen muss: "Herr Frodo! Da! Der König hat wieder eine Krone!"
Und natürlich findet sich auch im vorliegenden Buch ein von Moos umkränzter Stern von Mercedes-Benz, wie sich auch im Buch nicht nur Autos, sondern auch Baumaschinen, Loks oder Traktoren finden. Gespart wird dafür an den Texten, die sich zumeist auf rhetorische Fragen im Sinne von "ob der Besitzer noch einmal zurückkommt" oder "wie lange er hier schon stehen mag" beschränken. Und eigentlich hätte sich der Autor die auch noch zum Teil sparen können, es ist zuweilen bisserl arg pathetisch. Und die Bilder sprechen ohnedies für sich. Leise zwar, denn wucherndes Moos ist ein stilles Tuch, doch dafür um so eindringlicher. Und so sollte man das Buch auch genießen: Still, und in Ruhe. Viel Spaß dabei!
Benjamin Seyfang: Verlassene Fahrzeuge in Baden-Württemberg. Der unvergleichliche Charme seltener Scheunenfunde und rostiger Raritäten. Silberburg Verlag Tübingen 2024, 255 Seiten, 144 Seiten, rund 100 Abbildungen, Format 22,5 x 27,1 cm, gebunden, ISBN 978-3-8425-2437-8, 34,99 Euro.