Einer der ältesten Bullis der Welt: Der Fischweiher-Schuppenfund
Er ist ein feststehender Begriff in der Oldtimerszene: der Scheunenfund. Dieser ist ein ganz besonderer. Nicht nur, weil das Fahrzeug, das man fand, das letzte halbe Jahrhundert ein Leben als Fischereihütte hatte. Sondern auch, weil mit ihm einer der vielleicht ältesten VW-Busse der Welt zutage kam.
Für die Bewohner der sogenannten Ostzone war er es ereignisreicher Tag, schließlich bekamen die an jenem 8. November 1950, auf der konstituierenden Sitzung der Volkskammer, mit Otto Grotewohl ihren ersten Ministerpräsidenten und gleichzeitig die Deutsche Demokratische Republik ihre erste die Regierung. Und auch für Paul Braun war es ein äußerst wichtiger Tag. Denn genau an diesem Freitag holte der Westdeutsche etwas ab, was ihn für die kommenden zwei Jahrzehnte fast täglich begleiten würde – und auch noch darüber hinaus.
Gerade einmal sechs Tage hatte es gedauert, da hatte das Volkswagenwerk in Wolfsburg den Kastenwagen vom Typ 21A ausgespuckt und zum Auslieferungshändler Krauss nach Nürnberg verschifft. Hier durfte Braun sein neues Arbeitsgerät in Empfang nehmen und es in seine 75 Kilometer entfernte neue Heimat Uffenheim überführen. Hier, genauer gesagt in der Schlossstraße 13, betrieb er einen kleinen Fachhandel für Stahlwaren. Und jenes Fahrzeug, im VW-Jargon Typ 2 genannt (Typ 1 war der Käfer) und aufgrund der Tatsache, dass es die erste Generation Typ 2 war, "T1" getauft, war für den Handwerker sein künftiges Mittel zum Zweck.
Dieser Artikel und die dazu gehörende Galerie erschienen zuerst im "Kfz-Betrieb". Wir bedanken uns beim "Kfz-Betrieb" und dem Autor Steffen Dominsky herzlich für die Erlaubnis, die Beiträge auch bei uns veröffentlichen zu dürfen.
Vom Kastenwagen zum Verkaufs-Camper
Denn fortan fungierte der in der Farbausführung "Grundiert" produzierte und kurze Zeit später in zeitloses Hellgrau getauchte Kastenwagen nicht nur als Auslieferungs- und Materialbeschaffungsvehikel. Nein, im Laufe der Zeit erhielt der Bulli auch eine Aufgabe als rollender Verkaufsraum und Werbebotschafter. Mit ihm tingelte Paul Braun über die Lande und über Märkte und kleine Messen. Da ihn diese Reisen auch einigermaßen weit weg von seinem Heimatort führten und das Übernachten in offiziellen Herbergen beileibe nicht umsonst zu haben war, kam der Mittelfranke auf die Idee, seinen Kastenwagen auch als Übernachtungsmobil auszustatten.
Und so hielten Seitenscheiben und entsprechendes Camping-Equipment Einzug in den Bulli. Auch sonst durfte der Wolfsburger Bus so manche Modifikation über sich ergehen lassen. Ab Werk noch mit funzeligen Winkern in der B-Säule versehen, ergänzten irgendwann Warzenblinker an der Front und komplette Blink-/Brems-Schlusslicht-Einheiten, wie sie den T1 ab 1961 zierten, den Braunschen Bus. Auch die Türen bzw. Ausstellfenster erfuhren im Laufe der Zeit ein Update, und irgendwann ergänzte eine Frischlufthutze am Dach vorne die Silhouette.
Stellenweise "brutal authentisch"
"Sicher entspricht manches an und in dem Bus nicht mehr dem Auslieferungszustand von 1950. Aber ein überwiegender Teil eben schon. Und vor allem ist alles absolut authentisch und garantiert vor 1969", betont Klaus Baumann. Seit April ist er der Besitzer des einmaligen Stück Zeitgeschichte. Moment, Herr Baumann, weshalb garantiert vor 1969? "Ganz einfach, sehen Sie mal auf die Motorklappe!" Und tatsächlich: Auf dieser prangt nicht nur das originale und quasi erste Kennzeichen des Bulli – das faktisch erste war noch ein schwarz-weißes "Besatzungskennzeichen" gewesen –, es trägt auch eine unzweifelhaft originale HU-Plakette, mit "Stichtag" April 1969.
Es sind diese und viele andere "Kleinigkeiten", mit denen der Bus seinen Betrachter beeindruckt und fesselt – egal ob Laie oder VW/Bulli-Fachmann. Und letzterer wird, so er nicht die Geschichte des Grauen kennt, ziemlich schnell stutzig und reibt sich die Augen. "Barndoor"-Hecklappe, 16-Zoll-Räder, kein Armaturenbrett: "Der ist alt, sehr alt sogar. Das ist ein ganz, ganz früher…", entfährt es ihm. Und ja, er (oder sie) hat Recht: Dieser T1 zählt zu Survivors, zu den zehn ältesten, weltweit noch existierenden VW-Bussen überhaupt.
Ein zweites Leben am Fischweiher
Dass er das heute ist, hat der Kasten auf Rädern ebenfalls seinem Erstbesitzer zu verdanken. Denn Paul Braun hatte, als ihm der Bus als rollendes Verkaufshaus ausgedient hatte, für seinen treuen Begleiter ein zweites Leben ersonnen. Nämlich das als Fischerhütte. Denn Braun besaß in der an Fischweihern reichen Region genau einen solchen. Und dorthin musterte er den grauen Klotz auf Rädern aus, nutzte ihn fortan als Schlaf-, Koch- und Waschgelegenheit. Das besondere dabei: Anders als andere, die solch ein Fahrzeug neben einem solchen Gewässer platzierten und es der Unbill der Natur aussetzten, um es dann nach ein paar Jahren zusammenzukehren, ersann der Metallfachmann eine Über- und Schutzkonstruktion für seinen Bulli.
Stahlplatten über Scheiben der Fahrertür und den beiden Frontscheiben schützten das empfindliche Glas vor Beschädigung, genauso, wie der großzügige Überzug aus Holz und "Faserzementplatten" (Stichwort "Eternit") in Gestalt einer sehr ordentlichen Hütte das Blechkleid. Nur diesem Weitblick seines Besitzers ist es zu verdanken, dass der Bulli überhaupt und vor allem in einem einmaligen Zustand die Zeit bis zum April dieses Jahres überdauert hat. Da erblickte der Survivor das Licht der Welt zum zweiten Mal. Innerhalb von wenigen Minuten riss ein Bagger den Kokon um ihn herum weg und befreite den Bus aus seinem Dornröschenschlaf.
Beim VW-Klassik-Spezialisten gelandet
"Der Sohn des Erstbesitzers hatte den Fischweiher seines Vaters verkauft, mitsamt der Hütte und ihrem Bus", schildert Klaus Baumann den Wendepunkt im aktuellen Leben das T1. Der neue Besitzer hatte den T1 entdeckt und erkannte dank externer Hilfe seinen Wert. Nur wenig Mundpropaganda später war der Kontakt zu Baumann im 20 Kilometer entfernten Röttingen hergestellt. Zunächst zögerte der Geschäftsführer von Ascari, der Oldtimersparte des VW- und Audi-Servicepartners. Nachdem er aber herausgefunden hatte, dass es sich tatsächlich um einen der ältesten überlebenden VW-Busse aus dem allerersten Baujahr 1950 handelte, war es um ihn geschehen. "Ein 50er Bulli ist eine echte Rarität, den musste ich haben", blickt Baumann im Gespräch mit »kfz-betrieb« zurück.
Was sich im ersten Moment einfach aussprach, war in der Umsetzung keine ganz leichte Aufgabe. "Zuerst mussten wir die Hütte abreißen, Bäume absägen und eine Hecke entfernen. Die größte Herausforderung war jedoch eine Flurbereinigung aus den Siebzigern und deren Konsequenz", blickt der Kfz-Techniker zurück. "Denn den Weg, über den der Bulli vor mehr als fünf Jahrzehnten zu dem Weiher fuhr, gab es nicht mehr; stattdessen einen zwei Meter hohe, nahezu senkrecht an der Fahrerseite des Busses aufragenden neuen Weg. Deshalb mussten wir diesen per Bergekran aus seiner Lage befreien. Zum Glück gelang uns das, ohne irgendwelche Schäden an dem seltenen Stück zu verursachen", beschreibt Baumann die abenteuerliche Bergung.
Aktuell steht der Braunsche Bus im Ascari-Showroom. Was mit ihm geschehen soll, das hat Klaus Baumann noch nicht final entschieden. "Ihn zu restaurieren und wieder in seinen Auslieferungszustand zu versetzten wäre ein Frevel. Das würde seine gesamte Geschichte vernichten", ist der Röttinger überzeugt. "So, mit seinen ganzen originalen Aufschriften und Aufklebern, dem Interieur und seiner Funktion als Teil des Wirtschaftswunders Deutschland in seinem ersten Leben und der als Freizeit-Herberge für Familie und Freunde in seinem zweiten ist der T1 ein einmaliges Unikat, das ein Geschichte zu erzählen hat wie kaum ein anderer Bus", bringt es Baumann auf den Punkt. Um noch möglichst viel von dieser Geschichte zu erfahren, möchte er sich zeitnah mit Paul Braun treffen. Richtig gelesen: Der Erstbesitzer dieses Oldtimers lebt noch. Mit dem über 90-Jährigen plant Klaus Baumann zusammen mit Tochter Giulia demnächst einen Podcast zu machen. Wie viele T1 mit solch einer Historie dürfte es wohl noch geben? Vermutlich keinen einzigen.
Wir bedanken uns beim "Kfz-Betrieb" und dem Autor Steffen Dominsky herzlich für die Erlaubnis, den Artikel und die Fotos zu verwenden.
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