Viel Potenzial für Ärger: Wenn Camper Parkraum klauen
Immer mehr Reisemobile sind in Deutschland zugelassen. Diese werden immer häufiger monatelang am Straßenrand abgestellt. Das sorgt für Verärgerung, ist aber häufig legal.
Ralf Baumann ist sauer. Zusammen mit seiner Lebensgefährtin wohnt er in einer schnuckligen Eigentumswohnung im Süden von Darmstadt, Erdgeschoss mit großer Terrasse und privatem Gartenanteil, ein kleines Idyll am Fuße des Odenwaldes. Wenn da nicht die verdammte Straße wäre. Die ist weder viel befahren noch als Rennstrecke für nächtliche Wettfahrten jugendlicher Autofans beliebt, im Gegenteil, ruhig und beschaulich ist hier das Verkehrsgeschehen. Vor allem aber: ruhend. Der breite Parkstreifen ohne Markierungslinien lädt all jene Dauerparker ein, deren Fahrzeuge nicht ganz den Normmaßen des deutschen Durchschnittsautos entsprechen – er ist ideal zum Abstellen von Wohnmobilen.
„Als wir vor fünf Jahren hier eingezogen sind, standen da vielleicht zwei oder drei Reisemobile, mal ein VW Bus oder so eins mit Alkoven, heute reiht sich eins ans andere, Null Aussicht auf die Straße und den Wald, kein Platz für unseren Wagen“, klagt Baumann. Wie ihm geht es vielen Anliegern in deutschen Wohnvierteln. Die rapide steigende Zahl der Reisemobile auf den Straßen sorgt bei manch einem Anwohner für Verdruss. Zwischen sieben und acht Meter lang ist so ein Freizeitfahrzeug, außerdem meist deutlich über zwei Meter breit und oft höher als drei Meter. Kurz, ein Reisemobil verschlingt mehr Parkraum als zwei Kleinwagen. Vor allem aber blockiert es diesen gerade in den Wintermonaten gleich mehrere Wochen am Stück. Denn nicht alle Caravaning-Freunde schätzen es, in der kalten Jahreszeit zu campen und stellen ihre rollendes Urlaubsappartements von Oktober bis März einfach ab, um erst dann wieder auf Reisen zu gehen, wenn die Tage länger und die Temperaturen höher werden.
Zwei Drittel parken auf öffentlichen Straßen
Ralf Baumann muss sich nicht wundern. Der Bestand ist in den vergangenen Jahren dramatisch gestiegen. Insgesamt gibt es in Deutschland zurzeit knapp 590.000 Reisemobile, 2015 waren es lediglich etwas mehr als die Hälfte. Die meisten von ihnen, 120.000 Stück, sind in Nordrhein-Westfalen zugelassen, Bayern folgt mit gut 113.000 Fahrzeugen, auf Rang drei liegt Baden-Württemberg mit fast 90.000 Mobilen. Nur etwa ein Drittel der Besitzer können ihr Reisemobil auf dem eigenen Grundstück parken oder bezahlen für eine Unterstellmöglichkeit in Bauernscheune oder Gewerbehalle zwischen 30 und 60 Euro im Monat. Der Rest parkt auf der Straße.
Eine rechtliche Handhabe gibt es dagegen nicht. Solange das Reisemobil eine gültige TÜV-Plakette hat und zugelassen ist, darf es auch in Wohngebieten abgestellt werden. Solange der Verkehr dadurch nicht behindert wird. Dies gilt für alle Fahrzeuge bis maximal 7,5 Tonnen zulässiges Gesamtgewicht. Mobile mit mehr als 2,8 Tonnen dürfen dabei aus statischen Gründen nicht den Gehweg nutzen. Außerdem müssen eventuelle Parkmarkierungen auf der Straße beachtet werden, passt der Camper nicht zwischen die seitlichen Linien oder ragt über die vordere oder hintere Markierung hinaus, können die Behörden dies mit einem Verwarnungsgeld ahnden.
Ein Wohnmobil ist meist kein Pkw
Anders ist die Rechtslage, wenn unter dem weißen P auf blauem Grund, mit dem Parkplätze gekennzeichnet sind, eine Zusatztafel mit der Aufschrift oder dem Symbol „nur Pkw“ angebracht ist. Dann ist das Abstellen eines Fahrzeugs, das als „sonstiges Kfz Wohnmobil“ zugelassen ist, rechtswidrig. Campervans wie der Marco Polo von Mercedes-Benz oder der California von VW fallen bisweilen nicht unter diese Einordnung, nicht wenige von ihnen sind als Personenwagen kategorisiert und dürfen diese Parkplätze also nutzen. Aber diese Kategorie empfinden viele andere Verkehrsteilnehmer oder Anwohner auch nicht als störend, da sie mit ihren eher bescheidenen Maßen kaum das Volumen einer Oberklassenlimousine überschreiten.
Beim Caravan endet die Parkzeit nach 14 Tagen
Anders ist die Rechtslage bei einem Wohnwagen. Der darf, wie jeder andere Anhänger mit bis zu zwei Tonnen zulässigem Gesamtgewicht, maximal zwei Wochen am Straßenrand stehen. Danach droht ein Ordnungsgeld in Höhe von 30 Euro. In der Praxis genügt es meist, den Caravan nach Ablauf der Parkfrist einige Meter zu bewegen, er kann dabei sogar von Hand geschoben werden. Diese Maßnahme verlängert die Frist um wiederum zwei Wochen, taugt aber kaum für gute nachbarschaftliche Verhältnisse.
Anders sieht die Regelung für Anhänger mit mehr als zwei Tonnen Gesamtgewicht aus. Sie dürfen in Wohngebieten zwischen 22 und 6 Uhr ebenso wie an Sonn- und Feiertagen nicht abgestellt werden, die gleiche Regelung gilt für Reisemobile mit mehr als 7,5 Tonnen Gewicht. Sie zählen damit unwiderlegbar zur Kategorie der schweren Lastwagen, für die der alte Führerschein der Klasse 2 oder die heutige Fahr-Erlaubnis „C“ verlangt wird.
Paketdienste verschlechtern die Situation
Das Thema birgt eine gewisse Brisanz, denn der Branchenverband CIVD (Caravaning Industrie Verband) rechnet auch in diesem Jahr, zum achten Mal in Folge, mit erheblichen Zuwachszahlen. Knapp 80.000 Reisemobile kamen 2020 neu auf deutsche Straßen, bis Jahresende könnte diese Zahl nach vorsichtigen Schätzungen um zwölf Prozent wachsen. Der extreme Aufschwung der Absatzzahlen rührt nicht zuletzt von den Beschränkungen der Corona-Pandemie her. Viele Urlauber finden Gefallen an den Ferien im Wohnmobil, weil sich darin die Hygienemaßnahmen weitaus einfacher einhalten lassen als in einem Hotel.
Die Diskussion um knappen Parkraum befeuert jedoch auch eine andere Branche, die wegen des Lockdowns und geschlossener Warenhäuser hinzugewonnen hat. Lieferdienste wie DHL, Hermes oder UPS haben ihre Transporterflotten erheblich vergrößert. Das freut die Hersteller der leichten Nutzfahrzeuge und gewiss auch viele Verbraucher, weil das die Wartezeiten auf die ersehnten Lieferungen verkürzt. Dass aber manch ein Spediteur seinen Fahrern gestattet, die Transporter nach Feierabend gewissermaßen als Dienstwagen mit nach Hause zu nehmen und dort über Nacht abzustellen, verbessert die Parkraumsituation in Wohngebieten nicht gerade. So wird aktuell auch der „White-Van-Man“ mit der bunten Fahrerkappe zum ungeliebten Nachbarn.